Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahlen in Großbritannien:Lieber in Deckung bleiben

Lesezeit: 3 min

Von Cathrin Kahlweit, Winchester

Martin Tod und Rose Burns sind zufriedene, erfolgreiche Menschen. Einerseits. Tod, ein freundlicher 54-Jähriger mit österreichischer Ehefrau und einem Beruf, der ihn viel ins Ausland führte, betreibt eine kleine Charity für Männergesundheit und ist Stadtrat für die Liberaldemokraten.

Burns, 67, eine rundliche, energische Strafverteidigerin, sitzt im Stadtrat für die Tories. Beide leben in Winchester. Das Städtchen, etwa eine Stunde südwestlich von London gelegen, gehört zu jenen Kommunen, die sich wie ein goldener Ring um die Metropole legen und in der sich Londoner, nachdem sie ihr Geld in der City gemacht haben, zur Ruhe setzen: irre Immobilienpreise, nette Highstreet, prächtige Kathedrale, bukolische Landschaft. Natürlich hat auch Winchester seine armen Stadtteile, zu wenig Industrie, zu viel Verkehr. Aber die ideale Lage zwischen Hauptstadt und Meer macht aus dem Städtchen ein kleines Paradies.

Andererseits ist Rose Burns derzeit ziemlich unglücklich, politisch gesehen. Es wäre untertrieben zu sagen, dass sie stark unter Druck steht. Wenn sie Flyer für die Konservative Partei in ihrem Stadtteil St Bartholomew austeilt, vermeidet sie es, potenzielle Wähler anzusprechen; sie schiebt ihre Flugblätter lieber nur durch die Türschlitze.

Tory-Sympathisanten, sagt sie, wagten es mittlerweile nicht mehr, Schilder der Partei in ihre Vorgärten zu stellen oder Aufkleber an ihre Fenster zu heften - aus Angst vor Steinen, die durch Scheiben fliegen, oder vor Hundekot im Briefkasten. So groß ist die Wut auf die Partei, die den Brexit versprochen - und nicht gehalten hat.

Wenn indes Martin Tod, was er in den vergangenen Wochen regelmäßig tat, an die Türen der Bewohner des Stadtteils St Paul klopft, trifft er auf erfreute Gesichter und erntet positive Reaktionen. "Beenden Sie diesen Brexit-Quatsch", sagt Andy Buggy, der Callcenter auf den Philippinen und in Indien betreibt, als Tod mit seinen Wahlkampfflyern in der Hand und der knallgelben Rosette der Liberaldemokraten als Erkennungszeichen am Revers durch sein kleines Reich wandert.

Tod hat es leichter als Burns, denn er ist kein Tory. An diesem Donnerstag nämlich werden im Königreich Kommunalwahlen abgehalten.

Fast jedes Jahr wird ein Teil der Sitze in den Gemeinderäten und Kreistagen auf der Insel neu vergeben; diesmal sind es etwa ein Drittel. 8300 Sitze sind neu zu besetzen, von denen die Konservative Partei derzeit mehr als die Hälfte hält Umfragen sagen den Tories den Verlust von 800 dieser Councillors, wie die Gemeinde- und Stadträte heißen, voraus, was schlimm genug ist. Eine Erdrutsch-Niederlage sozusagen.

Schlimmer aber ist, was den Wahlen vorausgegangen ist: Frustration, Wut, Empörung, physische Attacken. Wahlhelfer wurden angeschrien, bedroht, geschlagen. Dass Theresa May das Land nach zwei Jahren Verhandlungen in eine Sackgasse geführt hat, wird auch den lokalen Parteivertretern vorgeworfen, die doch nichts lieber tun würden, als über Löcher im Straßenbelag und die Einrichtung eines Jugendcafés in ihrem Viertel zu diskutieren.

Die Tory-Frau findet, dass May den Brexit zu ihrem persönlichen Kreuzzug gemacht - und versagt hat

Die Mehrheit in Winchester hat Remain gewählt vor drei Jahren, also für den Verbleib in der EU gestimmt, während das Umland für den Austritt votiert hat. Knapp die Hälfte des Gemeinderates wird von den Liberaldemokraten gestellt, die sich als einzige Partei beim Referendum - und seither - für die Europäische Union verkämpft haben. Aber: 23 Stadtratsmitglieder kommen von den Tories. Noch.

Burns geht davon aus, dass sie ihren Sitz an diesem Donnerstag verliert. Sie ist ja selbst wütend auf die in London, ist selbst eine Remainerin. Sie findet, dass May den Brexit zu ihrem persönlichen Kreuzzug gemacht - und versagt hat.

Was soll sie den Leuten denn sagen, wenn die nicht über das Erholungsgebiet am Fluss, sondern über die EU-Wahlen reden wollen, die nun doch im Königreich stattfinden, oder über Boris Johnson, den sie für einen Lügner hält?

Neulich, sagt sie, habe sie von einer Basis-Organisation der Tories eine Mail bekommen; ob sie dafür sei, dass May gehen muss? Und wenn ja, ob sie für einen der folgenden zwölf Kandidaten stimmen würde? Es folgten Namen aus dem Kabinett und VIPs der Partei. Keiner war dabei, den Rose Burns aus Winchester für solide und ehrlich hält. Was soll sie ihren Wählern also sagen?

Martin Tod hat es leichter. Er kann sagen, er sei schon immer gegen den Brexit gewesen, wie es auch immer die Parteilinie der LibDems war. Er kann sagen, dass er auch für die Europawahlen in drei Wochen kandidiert, und dass er die EU nicht nur für das geringere Übel, sondern für eine gute Sache hält.

Tod weiß, dass die LibDems, die manch einer schon abgeschrieben hatte, diesmal im Aufwind sind - auch deshalb, weil die neue Remain-Partei Change UK, die aus prominenten Ex-Tories und Ex-Labour-Politikern besteht, bei der Kommunalwahl noch nicht antritt.

Rose Burns hingegen weiß, dass ihre Partei massive Verluste einfahren wird, die noch größer wären, wenn die neue Brexit-Partei von Nigel Farage anträte. Farage aber kommt erst zur Europawahl dazu. Dann wird es für die Tories richtig bitter.

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SZ vom 02.05.2019
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