Süddeutsche Zeitung

Die Briten und die EU:Der Brexit ist noch die leichteste Übung

Lesezeit: 3 min

Von Alexander Mühlauer, London

Nichts hat den Wahlkampf von Boris Johnson so geprägt wie sein Versprechen, Großbritannien aus der EU zu führen. Mit dem Slogan "Let's get Brexit done" brachte er das Gefühl vieler Briten auf den Punkt - und sei es auch nur aus Überdruss über den unendlichen Streit. Gewinnt er die Wahl an diesem Donnerstag, will der Premierminister den EU-Austritt am 31. Januar vollziehen. Doch was danach auf seine Landsleute zukommt, sagt er nicht. Auf die entscheidende Frage, wie die künftige Beziehung zur Europäischen Union aussehen soll, gibt es von Johnson bislang keine Antwort. Gut dreieinhalb Jahre nach dem Brexit-Referendum kann der Regierungschef nicht erklären, welchen Platz Großbritannien künftig in der Welt einnehmen soll. Womöglich ist er dazu auch noch gar nicht der Lage.

Glaubt man den Umfragen, erreicht Johnsons konservative Partei die Mehrheit. Je deutlicher der Wahlsieg ausfällt, desto größer ist der Handlungsspielraum des Premiers beim Brexit. Noch vor Weihnachten will sich Johnson die Zustimmung des Unterhauses zu seinem Austrittsvertrag mit der EU sichern. Großbritannien könnte so wie geplant am 31. Januar die Europäische Union verlassen. Danach beginnt eine Übergangsphase bis Ende 2020, in der sich für Bürger und Unternehmen de facto nichts ändert. Während dieser Zeit will Johnson ein Freihandelsabkommen mit der EU schließen. Er tut so, als sei dies eine seiner leichtesten Übungen und verspricht "einen großartigen Deal".

Doch so einfach wird das nicht. Aus Brüssel kommen jedenfalls ganz andere Signale. EU-Chefunterhändler Michel Barnier hat zwar erklärt, dass die Grundpfeiler eines Vertrags bis Ende nächsten Jahres stehen könnten, aber mehr als ein Gerüst ist das eben nicht. In der Brüsseler Kommission gehen hochrangige Beamte davon aus, dass Großbritannien um eine Verlängerung der Übergangsfrist nicht herumkommen dürfte. Denn im Grunde haben die Verhandler nur fünf Monate Zeit, einen Deal zu erreichen. Danach muss der Vertragstext noch juristisch überprüft und in alle Sprachen der EU übersetzt werden. Um etwa das Handelsabkommen zwischen Brüssel und Tokio für die Ratifizierung durch die Parlamente vorzubereiten, brauchte es ganze vier Monate.

Brüssel wird mit Sicherheit keine großzügigen Angebote machen

Für Johnson wird im Sommer der Moment der Wahrheit kommen. Gemäß Austrittsvertrag muss der britische Premierminister bis 1. Juli 2020 erklären, ob er die Übergangsfrist verlängern will - oder nicht. Im Wahlkampf hat Johnson immer wieder versprochen, dass Ende nächsten Jahres Schluss sein muss. Im Manifest der Tories steht: "Wir werden die Übergangsphase nicht über den Dezember 2020 hinaus verlängern." Wenn Johnson sich daran hält, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder er akzeptiert einen Freihandelsvertrag zu den Bedingungen der EU, oder es gibt kein Abkommen. Angesichts des drohenden No-Deal-Szenarios warnte erst kürzlich der ehemalige britische EU-Botschafter Ivan Rogers vor einer "Krise zu Weihnachten 2020". Einer Krise, die sehr viel größer sein könnte als alles, was man bislang im Brexit-Drama erlebt hat. Gibt es nämlich keinen Handelsvertrag, gelten die Regeln der Welthandelsorganisation - und damit hohe Zölle.

In Whitehall gibt es deshalb die Stimmen, die Johnsons Verhandlungstaktik für ziemlichen Wahnsinn halten. "Die EU weiß, dass der Premierminister bis Ende 2020 einen Deal braucht, damit ist sie in einer fantastischen Verhandlungsposition", sagt ein britischer Beamter. Brüssel ist vor allem daran gelegen, die Zölle auf Güter unverändert bei null zu lassen. Kein Wunder, denn im Jahr 2018 konnte die EU einen entsprechenden Handelsüberschuss von etwa 110 Milliarden Euro gegenüber Großbritannien verbuchen. Im Bereich von Dienstleistungen sieht es anders aus: Seit 2005 verzeichnet das Vereinigte Königreich jedes Jahr einen Handelsüberschuss zu seinen Gunsten. Brüssel wird also bei den für die Briten so wichtigen Dienstleistungen keine großzügigen Angebote machen.

Ob Johnson einen harten oder eher moderaten Brexit forciert, wird davon abhängen, wie sehr er auf die Unterstützung der Brexiteers in seiner Partei angewiesen ist. Je knapper die Mehrheit der Tories im Unterhaus, desto härter wird wohl der Schnitt mit der EU. Kommt es hingegen zu einem hung parliament mit keinen klaren Mehrheitsverhältnissen, könnte Labour-Chef Jeremy Corbyn eine Minderheitsregierung anführen. Er will in nur drei Monaten einen neuen Austrittsvertrag mit Brüssel verhandeln. Die Briten sollen dann in einem zweiten Referendum darüber abstimmen, ob sie diesen der EU-Mitgliedschaft vorziehen.

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Quelle:
SZ vom 12.12.2019
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