Süddeutsche Zeitung

Brexit:Können die Briten den Brexit einfach absagen?

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Oder müssten die anderen EU-Länder dem zustimmen? Diese Frage beschäftigt in wenigen Tagen den Europäischen Gerichtshof. Jurist Franz Mayer erläutert das schwierige Problem.

Interview von Wolfgang Janisch

Ein schottisches Gericht hat den Europäischen Gerichtshof angerufen, um Antwort auf eine merkwürdige Frage zu erhalten: Könnte Großbritannien überhaupt noch einseitig die Erklärung zum Austritt aus der EU zurücknehmen? Es wäre jedenfalls schwierig, sagt Franz Mayer, Professor für Europarecht an der Universität Bielefeld. An diesem Dienstag verhandelt der EuGH in Luxemburg, ein Urteil wird in ein paar Wochen erwartet.

SZ: Herr Prof. Mayer, der Brexit nimmt langsam Konturen an, aber immer noch kann alles passieren - vielleicht sogar der Exit vom Brexit. Könnte es wirklich sein, dass das EU-Recht dem im Wege stünde?

Franz Mayer: Der maßgebliche Artikel 50 EUV sagt zu diesem konkreten Szenario erst einmal gar nichts. Dort steht, dass man einseitig seinen Austritt aus der EU erklären kann. In der Welt der internationalen Organisationen ist die Austrittsmöglichkeit zwar normalerweise vorgesehen, aber für die EU ist das trotzdem keine Selbstverständlichkeit, denn die Union liegt näher an einem Bundesstaat als an einer Vereinigung wie der Weltgesundheitsorganisation. Und in Bundesstaaten sind wegen des Austritts schon Bürgerkriege ausgebrochen, siehe USA im 19. Jahrhundert.

Das Recht zum Austritt ist also eher eine Anomalie?

Ursprünglich war ein Austritt aus der EU überhaupt nicht vorgesehen. Aber bei den Arbeiten am 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon hat sich Großbritannien mit dem Wunsch nach einer solchen Möglichkeit durchgesetzt. Artikel 50 erlaubt also den Austritt. Ein Staat kann sagen: Wir wollen raus, wir müssen niemanden fragen. Zugleich will die Vorschrift aber klare Verhältnisse schaffen. Und damit verträgt es sich nicht, dass ein Staat das Austrittsverfahren einseitig in der Hand hat.

Der Preis der Austrittsmöglichkeit ist also, dass man den Austritt zwar einseitig erklären, aber nicht mehr einseitig revidieren kann?

So würde ich das interpretieren. Das steht zwar nicht ausdrücklich drin. Aber nach seiner Entstehungsgeschichte erscheint mir das plausibel. Alles andere würde dem austrittswilligen Staat alle Möglichkeiten geben. Er könnte das beispielsweise als Druckmittel in Verhandlungen einsetzen. Oder sie könnten diese Zwei-Jahres-Frist unterlaufen: Anderthalb Jahre verhandeln, danach den Austritt zurücknehmen, um dann doch wieder den Austritt zu erklären. Die Frist wäre sinnlos.

Aber ist das nicht sehr hypothetisch? Innenpolitisch könnte ein Land ein derartiges Hin und Her ja nicht durchhalten.

Man muss das ja aus der Warte der anderen EU-Staaten betrachten. Die wollen ja wissen, woran sie sind. Es geht doch darum, die Interessen beider Seiten zu wahren. Das spricht dafür zu sagen: Wenn man den Austritt erklärt hat, dann läuft die Uhr ...

... und man kann sie überhaupt nicht mehr aufhalten?

Es gibt Leute, die das vertreten. Aber Artikel 50 erlaubt es, im Konsens mit den EU-Mitgliedern die Zwei-Jahres-Frist zu verlängern. Dann muss es juristisch auch möglich sein, den ganzen Prozess abzubrechen - aber eben im Konsens mit den 27 verbleibenden Staaten. Politisch gilt das sowieso: Würden die Briten kehrtmachen, dann würde das natürlich möglich gemacht. Gerade deswegen ist es spannend, was jetzt der EuGH macht.

Erwarten Sie, dass der EuGH letztlich politisch entscheidet, um den Exit vom Brexit möglich zu machen?

Der EuGH steht vor der Schwierigkeit, einen rechtlichen Rahmen abstecken zu müssen, während die politische Situation noch unklar ist. Dadurch wird die Sache aber erst recht politisch. Der Gerichtshof wird letztlich einen Impuls setzen - egal, was er sagt.

Ihre Prognose?

Im Grunde könnte der EuGH die Sache schon als unzulässig abbiegen, weil es bisher um einen hypothetischen Rechtsstreit geht. Noch will sich Großbritannien keineswegs vom Brexit verabschieden. Aber ich glaube eher, dass er in der Sache entscheidet. Dann wird er vielleicht einen Mittelweg suchen und den Briten nicht die volle Verfahrenshoheit geben. Er könnte zum Beispiel einen Rückzug vom Brexit davon abhängig machen, dass diese ursprüngliche Austrittserklärung nach Artikel 50 mit einem Willensmangel behaftet war.

Also dass die Briten beim Brexit gleichsam unzurechnungsfähig waren?

So etwas in der Art. Wenn eine neue Volksabstimmung den Brexit zurücknähme, könnte man vielleicht argumentieren, dass schon die erste Erklärung gar nicht so gemeint war. So könnte der EuGH sicherstellen, dass die britische Regierung nicht allein das Heft des Handelns in der Hand hat.

Sie erwarten also, dass der EuGH eher vom Ergebnis her denkt und auf maximale Integrationsfreundlichkeit setzt?

Ich glaube, dass der EuGH einen möglichen politischen Verlauf nicht von vornherein unmöglich machen will. Aber wenn sie es ganz formal nach dem Wortlaut auslegen, dann müssten sie sagen: Dort steht nichts von einem Exit vom Brexit, also geht das auch nicht.

Aber politisch stünde doch jedenfalls ein Konsens für einen Verbleib der Briten außer Frage - oder?

Wir waren schon häufig damit konfrontiert, dass das, was man rational erwartet, nicht eintritt. Es gibt da einen heiklen Punkt: Großbritannien hat in der EU ein großes Maß an Sonderregeln für sich ausgehandelt, eine very special membership. Ob da nicht ein Mitgliedstaat sagen würde: Okay, ihr dürft bleiben - aber nur zu den Konditionen, die alle andern auch haben. Also ohne Britenrabatt. Ich bin jedenfalls nicht sicher, dass das ohne jedes Ruckeln über die Bühne ginge, wenn die Briten sagten: War nicht so gemeint, wir bleiben an Bord. Dazu ist zu viel passiert.

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