Süddeutsche Zeitung

Stürmung des brasilianischen Parlaments:Lula in Brasília: "Putschisten" werden bestraft

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Die Polizei hat die Bolsonaro-Anhänger in der Hauptstadt gestoppt, der amtierende Präsident reist daraufhin ins Regierungsviertel. Parallelen zum Sturm aufs US-Kapitol drängen sich auf. Die Bilder von der Attacke.

Von Oliver Klasen und Leonard Scharfenberg

Ein tobender Mob von etwa 3000 Menschen, so schätzen örtliche Medien, löst in der brasilianischen Hauptstadt Brasília Chaos aus und attackiert gezielt die Institutionen des demokratischen Staates. Gewalttätige Demonstranten dringen in gleich mehrere wichtige Gebäude ein, in den Sitz des Parlaments und in den Präsidentenpalast sowie in das Gebäude des obersten Gerichtshofs. Sie durchbrechen Barrikaden, schlagen Fenster ein, stürmen die Eingangshallen und zerstören das Mobiliar.

Nachdem die Polizei die Kontrolle über das Regierungsviertel wiedergewonnen hat, reist der brasilianische Präsident am Sonntagabend aus São Paulo in die Hauptstadt. Die Demokratie habe gesiegt, schreibt Lula da Silva auf Twitter: "Morgen werden wir die Arbeit im Präsidentenpalast wieder aufnehmen." Die "Putschisten" seien identifiziert und müssten mit Konsequenzen rechnen.

Der Amtssitz des an Neujahr vereidigten Linkspolitikers ist jedoch schwer von den Unruhen gezeichnet. Soldaten stehen vor den zerbrochenen Scheiben des Palácio do Planalto. Teile des obersten Gerichts sollen von den Bolsonaro-Anhängern mit Wasser geflutet worden sein. "Alle Vandalen werden gefunden und bestraft. Wir werden auch herausfinden, wer sie finanziert hat", kündigt der Präsident an.

Bürgerkriegsähnliche Szenen, mit diesem Begriff hätte man das, was sich in Brasília abgespielt hat, vielleicht früher bezeichnet. Inzwischen gibt es einen besseren, treffenderen Vergleich: Die Bilder aus der brasilianischen Hauptstadt erinnern doch sehr an Washington am 6. Januar 2021, den Sturm auf das US-Kapitol und den Angriff fanatischer Trump-Anhänger auf die amerikanische Demokratie.

Das erste Gebäude, das die Demonstranten stürmen, ist das Kongressgebäude, das die beiden Parlamentskammern beherbergt. Dort gelingt es den militanten Bolsonaro-Anhängern, bis aufs Dach vorzudringen.

Die Polizei versucht, mit Wasserwerfern und Tränengas dagegenzuhalten, kann die - offenbar gut vorbereitete - Masse an Menschen jedoch nicht stoppen.

Vor dem Gebäude spielen sich Jagdszenen ab. Die Polizei versucht, mit Autos gewalttätige Bolsonaro-Anhänger einzufangen. Doch die Demonstranten sind zu zahlreich. Es gelingt ihnen, die Fensterscheiben des Kongressgebäudes einzuschlagen und sich Zutritt zu verschaffen.

Schnell ist das Innere des Parlaments von Hunderten Demonstranten bevölkert.

Auch in den Präsidentenpalast dringen die Bolsonaro-Anhänger ein. Alle drei Gebäude, Parlament, Präsidentenpalast und der Sitz des Obersten Gerichtshofs, liegen auf einem Gelände, der Praça dos Três Poderes, dem Platz der drei Gewalten. Er ist Teil der Regierungsmeile, die Ende der Fünfziger-, Anfang der Sechzigerjahre von dem weltberühmten Architekten Oscar Niemeyer konzipiert worden war. Brasília wurde erst 1960 als Stadt gegründet, eine auf dem Reißbrett entstandene Stadt im Geiste des damals herrschenden Fortschrittsglaubens. Dementsprechend ist auch die Architektur gestaltet, sie gilt als Meisterwerk der Moderne und ist seit 1987 Unesco-Weltkulturerbe.

Die Angreifer tragen mehrheitlich Kleidung in den brasilianischen Nationalfarben grün und gelb. Es sind die Farben, die auch Bolsonaros Partei verwendet.

Sie fordern ein Eingreifen des Militärs und den Sturz des neuen Staatschefs Luis Inácio Lula da Silva, der die Wahl im Herbst knapp gegen Bolsonaro gewonnen hatte.

Im Inneren des Präsidentenpalastes dringen militante Bolsonaro-Anhänger auch in Büros ein und zerstören dort Gegenstände - auch das erinnert an den Sturm des US-Kapitols vor zwei Jahren.

Schließlich gelingt es Polizisten, das weitere Vordringen der Demonstranten zu stoppen. Hubschrauber kreisen über dem Regierungsviertel.

Per Dekret ordnet Amtsinhaber Lula da Silva an, dass künftig nicht mehr der Bundesdistrikt, sondern die Zentralregierung für die Sicherheit in Brasília verantwortlich ist. Der Sicherheitschef der Hauptstadt wird entlassen. Er soll ein Anhänger Bolsonaros gewesen sein. Das Oberste Gericht entscheidet später in der Nacht, den Gouverneur von Brasília, Ibaneis Rocha, für 90 Tage zu suspendieren. Am Abend bringt die Bundespolizei die Lage wieder unter Kontrolle.

Bolsonaro selbst verurteilt die Erstürmung des Parlaments und des Präsidentenpalastes. "Friedliche Demonstrationen sind Teil der Demokratie. Plünderungen und Überfälle auf öffentliche Gebäude, wie sie heute stattgefunden haben, fallen jedoch nicht darunter", schreibt der rechtsextreme Ex-Staatschef am Abend auf Twitter, allerdings nicht ohne darauf hinzuweisen, dass auch linke Demonstranten in Brasiliens jüngerer Geschichte für Chaos gesorgt hätten. Bolsonaro hatte zwei Tage vor der Amtsübergabe das Land verlassen und war mit seiner Familie in die USA gereist.

Forensiker untersuchen die Gebäude des Regierungsviertels. Die Polizei hat am Abend mehr als 200 Menschen festgenommen, wie es aus dem Justizministerium heißt.

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