Süddeutsche Zeitung

Landtagswahl in Brandenburg:"Es tut halt weh"

Lesezeit: 5 min

In Cottbus wird die AfD mit 26 Prozent der Stimmen stärkste Kraft. Für ihre Gegner ist der Umgang mit ihren Wählern alltäglicher, persönlicher als anderswo. Aus dem Weg gehen ist keine Option.

Von Hannah Beitzer, Cottbus

"Richtung Westen geht das Sehnen, dorthin wo man Freiheit kennt / Nichts verbindet uns mit denen, deren Macht das Leben hemmt": So sangen es die Gefangenen im Zuchthaus Cottbus, sie sangen es, solange die DDR bestand. Heute, 30 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, ist es in Cottbus mit dem Sehnen und der Freiheit und dem Westen komplizierter, als sich das viele kurz nach der Wiedervereinigung vorgestellt haben.

Willkommen in Cottbus, Herz der Lausitz, Arbeiterstadt mit breiten Straßen, an deren Rändern viele Geschäfte leer stehen. Zum dritten Mal in Folge hat die AfD hier eine Wahl gewonnen: Bei der Landtagswahl in Brandenburg holte sie 26 Prozent der Stimmen und beide Direktmandate. Im Stadtparlament stellt sie schon seit Mai die stärkste Fraktion. Sie kann sich auf ein gut organisiertes und lange etabliertes rechtes Netzwerk stützen, aber auch vom Frust der Nachwendejahre zehren. Das Freiheitsversprechen, das die DDR-Gefangenen mit dem Westen verbanden, sehen die AfD und ihre Wähler nicht erfüllt.

Ihre Präsenz macht auch etwas mit den Anderen in dieser Stadt. Für sie ist die Frage nach dem Umgang mit der AfD viel alltäglicher, persönlicher als anderswo. Und das selbst, wenn sie sich eigentlich lieber mit ganz anderen Dingen beschäftigen wollen.

Die Menschenrechtsaktivistin

So geht es zum Beispiel Sylvia Wähling. Sie ist geschäftsführende Vorsitzende des Vereins "Menschenrechtszentrum Cottbus", der heute auf dem Gelände des alten Zuchthauses eine Gedenkstätte betreibt. Am Wahlsonntag kocht sie in der Küche neben ihrem Büro gefüllte Tomaten zum Mittagessen und sagt: "Es passieren so viele gute Sachen hier." Doch die Presse, die komme halt nur, wenn die AfD mal wieder eine Wahl gewinnt, wenn der rechte Verein "Zukunft Heimat" eine Demo gegen Flüchtlinge organisiert. Sie sagt das ohne Vorwurf in der Stimme, eigentlich freut sie sich, dass sie einmal von ihrer Arbeit erzählen kann - und davon, was sie sich für Cottbus wünscht.

Ihr ist es wichtig, dass die Gedenkstätte sich nicht nur mit der Vergangenheit beschäftigt. 8000 Besucher hat sie im Jahr, die meisten davon Schulklassen. Mit ihnen drehen ehemalige Häftlinge Videos, sprühen Graffiti, erarbeiten in Workshops, was Flucht und Vertreibung heute bedeuten. Sie selbst engagiert sich seit einigen Jahren in den irakischen Kurdengebieten für Jesiden und andere vom IS Verfolgte.

Sie möchte die Gedenkstätte zu einem großen Bildungszentrum ausbauen, es soll nach der NS-Widerstandskämpferin Traute Lafrenz benannt werden und weit über Cottbus hinaus aktiv sein. Das, glaubt sie, könne der Stadt neuen Schwung geben, eine andere Richtung, "Cottbus, Stadt der Menschenrechte", sagt sie, wissend, wie unwahrscheinlich das an einem Tag wie heute klingt. Aber nicht nur zwischen den Zeilen ist die AfD Thema.

Während des Wahlkampfs hat sich das Menschenrechtszentrum gegen die Partei positioniert. Die AfD hatte Plakate aufgehängt, auf denen sie sich in die Tradition der DDR-Bürgerrechtler stellte. "Vollende die Wende", stand zum Beispiel auf ihnen. Der Vorstand des Zentrums formulierte eine Erklärung: "Die Mitglieder des Menschenrechtszentrums Cottbus, von denen 80 Prozent ehemalige politische Häftlinge der DDR waren, haben für ihre Freiheit und ein Leben in der Demokratie viel riskiert. Wir widersprechen entschieden der Vereinnahmung durch die AfD und deren Gleichsetzung unseres demokratischen Rechtstaates mit einer Diktatur."

Eigentlich ist der Verein per Vorstandsbeschluss überparteilich, mischt sich also in Wahlkämpfe nicht ein. Diesmal, fand Wähling, ging es nicht anders. "Ich habe viel Zustimmung bekommen, aber auch viel Kritik." Denn natürlich gebe es auch AfD-Sympathisanten bei ihnen, zwei Mitglieder verließen den Verein. Das Thema, es begleitet sie, wie es alle begleite, "wir sind eben ein Spiegel der Gesellschaft".

Die Rot-Rot-Grünen

Ganz anders sieht es am Wahlabend in der Kammerbühne des Staatstheaters Cottbus aus. Hier haben Künstler und Künstlerinnen eine "angstbefreite Zone" eingerichtet, mit dem Schritt durch die Tür, so versprechen sie "wirst du deine Angst los", stattdessen gibt es einen Lolli in die Hand. In einer Ecke legt eine der Gastgeberinnen Tarotkarten, in einer anderen dürfen die Gäste im "Politiker-Tabu" Begriffe umschreiben. Es wird geduzt, der Eintritt ist frei, die Stimmung freundlich, an der Wand hängt ein Plakat mit der Aufschrift: "Wir sind viele - jede*r von uns".

Also kein ein Spiegel der Gesellschaft, jedenfalls nicht der Cottbusser. "Wir sind hier schon in der Filterbubble", sagt Laura Schulze, 23 Jahre, Studentin. Sie sitzt an einem Tisch mit ihrem Mitbewohner Paul Weisflog, 36 Jahre, gebürtiger Cottbuser, und Konstantin Schneider, 25 Jahre und aus Sachsen, und wartet auf die Wahlergebnisse. Sie haben SPD, Grüne, Linke gewählt und man muss sie nicht lange fragen, wie sie das finden mit der AfD. Weisflog ist erst vor Kurzem nach einer AfD-Veranstaltung angegriffen worden. Als die Freunde zum Christopher Street Day eine Regenbogenfahne aus dem Fenster hängten, bat ihr Vermieter, die wieder reinzuholen - "er hatte Angst, dass da Steine fliegen". Und auch wenn nicht jeden Tag Springerstiefel die Straßen von Cottbus zum Erbeben bringen - ein Problem gibt es hier, das steht fest.

Woran liegt das und vor allem: Wie kommt man da wieder raus? Die Antworten kommen ohne Zögern, die Probleme von Strukturwandel über Nachwendeenttäuschung bis Rassismus sind Themen, über die sie offensichtlich viel reden und nachdenken. Doch selbst in ihrer Filterbubble sind sich die drei nicht in allem einig: Schulze beklagt zum Beispiel das pauschalisierende Bild des rechten Ossis, das seit Jahren in den Medien vorherrsche, das vielen Menschen aufstoße. Ihre beiden Freunde halten dagegen: "Die Probleme, die es gibt, müssen doch angesprochen werden", sagt Weisflog, der sich schon seit vielen Jahren in Cottbus gegen rechts engagiert. "Es ist kein Zufall, dass Pegida in Dresden entstanden ist und nicht in Dortmund, wo es ja auch eine rechte Szene gibt", sagt Schneider. Darüber müsse noch viel mehr geredet werden. Dann sagt er, der Sachse, nach einer Pause: "Es tut halt weh."

Dass man Position beziehen müsse, einen Konsens der Demokraten finden, darin sind sie sich einig. Weisflog kritisiert die Stadt Cottbus und ihren Oberbürgermeister Holger Kelch von der CDU. "Der duckt sich weg." Die CDU hoffe, dass sie AfD-Wähler zurückholen könne. Konstantin Schneider hält das für einen gefährlichen Weg: "Denn wenn ich immer weiter nach rechts rücke, um die AfD zu verdrängen, dann ist sie zwar weg - aber ich bin wie sie."

Der Bürgermeister

Wenig verwunderlich, dass einer das anders sieht: Holger Kelch, Oberbürgermeister von Cottbus, verfolgt die Wahl fünf Autominuten entfernt vom Theater in einem Gasthaus. Immer wieder guckt er auf sein Smartphone, die Auszählung in Cottbus läuft langsam dem Ende entgegen. "Dass es für die CDU so schlecht ausgeht, das hätte ich nicht gedacht", sagt er. Am Ende steht seine Partei in Cottbus bei 15 Prozent, beide Direktmandate gehen an die AfD. "Dabei hatten wir gute Kandidaten", sagt er. Aber er kennt sie ja, die Wähler, die ihm sagen: "Ihr habt uns schon so viel gesprochen und es nicht gehalten." Er kennt sie gut.

In den vergangenen Jahren versuchte er im Umgang mit der AfD, was viele versuchen: Bürgerdialoge, Stadtteilspaziergänge, Bürgersprechstunde. Und, mindestens genauso wichtig: Es sei auch etwas passiert in der Stadt. Kelch berichtet von Programmen, die Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integrieren, von Schulsozialarbeitern, die die Stadt eingestellt hat. Er erzählt aber auch von den Grenzen, an die er stößt. Und das sind nicht wenige. Cottbus hat wenig Geld für Veränderung, für tolle Projekte. Und vieles hängt ohnehin an der Landes- oder gar der Bundespolitik - etwa der Ausbau des zweiten Bahngleises nach Berlin oder eben der Kohleausstieg, das Thema Nummer eins in der Lausitz. Da kommt er natürlich schlecht an gegen eine AfD, die sich weder um Finanzen noch um Zuständigkeiten schert, die erst gar nicht vom Kohlekompromiss anfängt, sondern gleich sagt: Der Klimawandel ist erfunden.

Und auf der anderen Seite sind eben die, die von ihm eine stärkere Positionierung erwarten. "Rassismus ist bei mir eine Grenze, die nicht übertreten werden darf", sagt Kelch. Aber die AfD sei nun einmal da und ihre Sympathisanten auch. "Ich kann doch 30 Prozent der Wähler nicht pauschal beschimpfen. Ich habe doch Verantwortung allen gegenüber." Zwischen dem Anspruch, mit den AfD-Wählern zu reden und der Forderung, sich zu positionieren, ist es schwierig, nicht zerrieben zu werden. Das jedenfalls hat die CDU in Cottbus wieder bestätigt bekommen.

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