Süddeutsche Zeitung

Landtagswahl:Mit Sachlichkeit gegen rechte Parolen

Lesezeit: 4 min

Von Jens Schneider, Brandenburg

Es ist ein Tag, an dem Wahlkampf sich wie eine Sommerfrische anfühlen kann. Hinter der Bühne auf dem Gelände des Ruderclubs gleiten fünf junge Leute auf ihren Stand-Up-Paddling-Brettern entlang. Danach kommt ein Hausboot, wie sie immer öfter auf den Gewässern um Brandenburg an der Havel zu sehen sind, das nach dem Ende der DDR als Stahlstadt schmerzhafte Umbrüche erlebte, viele Arbeitsplätze verlor und heute immer mehr Urlauber anzieht. Rund hundert Leute sind gekommen, um Armin Laschet zu sehen, den NRW-Ministerpräsidenten, der seinen christdemokratischen Parteifreund Ingo Senftleben im Wahlkampf unterstützt. Laschet schwärmt von der Domstadt, die sich so herausgeputzt habe, er sagt: "Das ist doch gigantisch." Und er fragt: "Wo kommt all diese Wut her?"

Da weiß jeder, er meint die Stimmung der Leute, die am Sonntag die AfD wählen wollen, um die zwanzig Prozent. Aber es ist das letzte Mal, dass die Rechtsaußen-Partei an diesem Vormittag eine Rolle spielt. Dafür geht es um Waldbrände, um zu wenig Sitze in den Eisenbahnen, und zu wenig Lehrer. Brandenburgs CDU-Chef Senftleben erzählt von einer Begegnung mit Mitgliedern der Freiwilligen Feuerwehr in der Nähe. Nach den verheerenden Waldbränden hätten sich sechs neue Kameraden angeschlossen, erfuhr er. Aber seit einem halben Jahr habe die Ortsfeuerwehr keinen Wagen mehr für ihre Einsätze, müsse die Geräte mit Privatautos fahren. Das werde er ändern, sagt der Oppositionsführer. "Das verspreche ich den Kameraden."

Als Nächstes spricht der 45-Jährige über Pendler. In Brandenburg gibt es immer mehr, aber nicht mehr Züge. Senftleben zählt weitere Probleme auf, die vielen Funklöcher, den Unterrichtsausfall an Schulen. Er tut das in aller Ruhe, der Begriff "heiße Wahlkampfphase" bekommt mit ihm eine neue Bedeutung. Wenige Tage sind es noch bis zu den Landtagswahlen, auf die in der Bundespolitik mit so großer Nervosität geblickt wird. Die AfD könnte erstmals stärkste Partei in einem Bundesland werden, was nicht nur von symbolischer Bedeutung wäre. In Potsdam hätte sie dann laut Landesverfassung das Vorschlagsrecht für das wichtige Amt des Landtagspräsidenten. Schon wird diskutiert, ob man ihr das Amt versagen könnte.

Eine grüne Ministerpräsidentin?

Im Kampf um die Staatskanzlei gibt es eine bizarre Konstellation. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) muss mit Verlusten rechnen, aber ihm steht kein Favorit gegenüber. Zeitweise lagen in Umfragen fünf Parteien gleichauf: die seit 30 Jahren regierende SPD und die AfD, Senftlebens CDU und die Linke, die seit einem Jahrzehnt als Juniorpartner der SPD regiert.

Auch die Grünen zählten plötzlich zu diesem Spitzenquintett. Bei den letzten Wahlen zogen sie knapp in den Landtag ein - 6,2 Prozent waren es 2014, nun stiegen sie im Sommer bis auf 17 Prozent an. Plötzlich musste sich Spitzenkandidatin Ursula Nonnemacher mit der Frage beschäftigen: Will sie Ministerpräsidentin werden?

Die 62-jährige Ärztin hätte diese Spekulation nie angestoßen. Weil Journalisten fragten, erklärte sie halt, dass sie bereitstehe. Mehr nicht. Nonnemacher ist eine leidenschaftliche Politikerin, im Landtag zu Potsdam nennt man sie die "Reden-Königin", weil sie in der letzten Legislaturperiode mit Abstand die meisten Reden hielt, 392. Das Besondere ist, dass sie keine flotten Stegreifreden hält, sondern sich bei einem breiten Themenspektrum kompetent zeigt. Sie eigne sich schon von ihrem Naturell her nicht dazu, deftig auf AfD-Parolen zu antworten, sagen Parteifreunde.

Wer zu viel von der AfD redet, macht sie nur stärker. Wer sie zum wichtigsten Gegner erklärt, lässt sie noch wichtiger wirken. Dieses Gefühl hat sich bei vielen Wahlkämpfern durchgesetzt. Ihre Sachlichkeit, aber auch die Unermüdlichkeit, mit der kleine und noch kleinere Orte besucht werden, fallen auf. Er habe von Beginn an gewarnt, von Schicksalswahlen zu sprechen, sagt Christdemokrat Senftleben. Zuspitzung nutze den Populisten. "Wenn du Populisten etwas entgegensetzen willst, musst du auf Tatsachen setzen", sagt er.

Im Landtag hat ihm sein Aufstieg in der lange zerstrittenen märkischen CDU Respekt verschafft. Nüchtern ging er einen Schritt nach dem anderen, bald fielen ihm die wichtigen Aufgaben in Fraktion und Partei zu. Er kommt aus Ortrand an der Grenze zu Sachsen, hat zunächst Maurer gelernt, absolvierte dann ein Fernstudium zum Hochbau-Techniker. Elf Jahre war er ehrenamtlicher Bürgermeister von Ortrand, da saß er schon im Landtag. "Ich bin ein Landei, und das ist gut so", stand auf Großplakaten, mit denen er zu Beginn des Wahlkampfes seine geringe Bekanntheit zu überwinden suchte. Im Land fühlen sich die entlegenen Regionen oft von Potsdam vergessen. Er verspricht, er wolle "ganz Brandenburg wachsen lassen".

Mit der AfD reden, aber nicht regieren

So sehr Senftleben Aufregung meiden will, weiß er doch, dass diese Wahl anders ist, weil die üblichen Regierungskonstellationen keine Mehrheit finden dürften. Er sprach als Erster offen darüber und schloss eine Koalition mit der Linken nicht aus, auf seinen Plakaten steht: "Maurer, Brückenbauer, Ministerpräsident". Auch mit der AfD will er reden, aber nicht regieren. In der CDU kam die Offenheit für die Linke schlecht an. Es gab Widerspruch von der Bundesebene, und die Landespartei quittierte den Kurs mit einem miesen Ergebnis bei seiner Nominierung.

Im Wahlkampf redet er über Regierungsoptionen wenig und viel über konkrete Sorgen. Als er an diesem Morgen gefragt wird, warum der Wahlkampf nicht so hitzig ist wie erwartet, stellt sich eine Frau dazu. "Sie haben mir aus der Seele gesprochen", sagt sie. Jeden Tag pendle sie nach Berlin, es sei oft ein Kampf, in den Zug zu kommen. Manchmal komme sie gar nicht hinein. Senftleben bedankt sich und antwortet dem Reporter, dass dies die beste Antwort auf seine Frage sei: "Darum geht es hier."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4577510
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 28.08.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.