Süddeutsche Zeitung

Gedenktag zu Terroranschlägen:Opfer rechter Gewalt kritisieren Symbolpolitik

Lesezeit: 3 Min.

An diesem Samstag lädt die Bundesregierung zum Gedenktag für Opfer terroristischer Angriffe. Doch Hinterbliebene und Überlebende bemängeln, dass sie nicht zu Wort kommen sollen.

Von Simon Sales Prado

Sie sollen zuhören. Das ist der Eindruck, den die Bundesregierung bei einigen Hinterbliebenen von Opfern und bei Überlebenden rechter Gewalt erweckt, wenn sie an diesem Samstag in Berlin den Gedenktag für Opfer terroristischer Gewalt begeht. In einem offenen Brief üben Angehörige und Überlebende verschiedener rechter Anschläge nun Kritik am Gedenken der Bundesregierung. Ein zentraler Punkt: Sie dürfen dabei nicht sprechen.

"Diese Gedenkstunde, die keinen angemessenen und ausreichenden Rahmen für alle Hinterbliebenen schafft, macht deutlich, dass Sie uns nicht hören wollen", schreiben sie in dem Brief, welcher der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Darin fordern die Verfasserinnen und Verfasser ein Gedenken, das sich nicht auf Terroranschläge beschränkt, sondern auch Opfer von Rassismus einbezieht. Und sie beklagen wiederkehrende Intransparenz im Umgang mit Betroffenen - unmittelbar nach den Taten, bei der Frage der Entschädigungen oder jetzt, bei den Einladungen zur Gedenkfeier.

Manche Betroffene wurden gar nicht erst eingeladen

Unterzeichnet wurde der Brief bisher von einem breiten Bündnis aus Initiativen und Einzelpersonen. Dazu gehören unter anderem die Familien der NSU-Opfer Mehmet Kubaşık und Enver Şimşek, die Angehörigen der Opfer des Anschlags am OEZ in München und des Anschlags von Halle sowie Said Etris Hashemi, einer der Überlebenden des Anschlags von Hanau.

Sie eint der Unmut angesichts des Gedenktages, mit ihrer Trauer gehen sie jedoch unterschiedlich um. Manche von ihnen werden trotz ihres Ärgers über die Einladung zur Veranstaltung kommen, andere wollen sie boykottieren. Wieder andere sind gar nicht erst eingeladen worden, manche haben daraufhin um eine Einladung gebeten.

İbrahim Arslan gehört zu denjenigen, die nicht eingeladen wurden. Arslan ist heute ein bekannter Name, wenn es um den Einsatz gegen rechte Gewalt geht. Er ist Überlebender des Brandanschlags von Mölln. Damals, am 23. November 1992, warfen Neonazis mit Molotowcocktails auf Wohnhäuser und töteten so seine Großmutter Bahide Arslan, seine Schwester Yeliz Arslan sowie seine Cousine Ayşe Yılmaz.

Seit vielen Jahren gibt Arslan nun Seminare rund um rechte Gewalt, er spricht auf Veranstaltungen und setzt sich für die Vernetzung von Betroffenen ein. Als er an sein Telefon geht, ist er auf dem Rückweg von einer Schulklasse, mit der er über Antirassismus gesprochen hat und über die Frage: Wie geht die Gesellschaft mit Betroffenen um?

Eines macht Arslan, der den Brief mit verfasst hat, am Telefon gleich zu Beginn klar: Es geht nicht einfach um einzelne Einladungen, er will auch keine Konkurrenz zwischen Opfern. Es geht auch ausdrücklich nicht darum, Betroffenen vorzuschreiben, wie sie zu trauern haben und ob sie an der Gedenkveranstaltung teilnehmen sollen. Worum es ihm geht: um die Bundesregierung und ihre Haltung, die im Gedenktag zum Ausdruck kommt.

Relativiert die Art des Gedenkens den rechten Terror?

Der Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt wurde im vergangenen Jahr ins Leben gerufen, er findet am 11. März zum zweiten Mal statt und knüpft an den europäischen Gedenktag für Opfer des Terrorismus an. Vor einem Jahr erklärte die Bundesregierung, den Umgang mit Betroffenen "noch empathischer und würdiger" gestalten zu wollen.

Der Süddeutschen Zeitung sagt das Justizministerium, rund 800 Betroffene seien zur Gedenkfeier eingeladen worden. Dazu gehören nicht nur Opfer rechter Gewalt oder deren Angehörige, sondern auch Überlebende von islamistischen Anschlägen wie in Nizza oder von Verbrechen aus anderen menschenfeindlichen Motiven.

Die Bundesregierung möchte so ein möglichst breites Spektrum abbilden. Diese Zusammenstellung wurde in der Vergangenheit aber immer wieder kritisiert. Etwa weil islamistischer und rechter Terror zusammengelegt werden, obwohl rechter Terror auch antimuslimisch ist. Ein Gedenken, das alle Opfer terroristischer Gewalt zusammenfasst, relativiere den von ihnen erfahrenen rechten Terror, schreiben auch die Angehörigen in ihrem offenen Brief.

Bei der einstündigen Veranstaltung werden der Opferbeauftragte Pascal Kober (FDP), Justizminister Marco Buschmann (FDP) und der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck sprechen. Unter anderem stehen "Hallelujah" von Leonard Cohen und die Nationalhymne auf dem musikalischen Programm, außerdem wird ein Video gezeigt, in dem Betroffene terroristischer Gewalt ihre Erfahrungen teilen.

Auf die Frage, wer in dem Film zu sehen ist und wie das entschieden wurde, gibt das Justizministerium keine Antwort. Und wieso dürfen keine Betroffenen bei der Veranstaltung selbst reden? Man habe einen Film gewählt, um möglichst viele Betroffene terroristischer Gewalt zu Wort kommen zu lassen, sagt das Ministerium. İbrahim Arslan sieht darin einen Versuch, nur solche Menschen sprechen zu lassen, deren Aussagen die Regierung nicht zu stark kritisieren.

Auf die Frage, was er sich von einem Gedenktag wünschen würde, hat Arslan eine einfache Antwort: "Wir wünschen uns, dass man uns fragt."

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