Süddeutsche Zeitung

Energie:Belgien hält vorläufig an der Atomkraft fest

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Unter dem Eindruck des Kriegs in der Ukraine beschließt die belgische Regierung den Ausstieg vom Ausstieg. Eine grüne Ministerin steht in der Verantwortung - und die geplante Laufzeitverlängerung bis 2035 dürfte teuer werden.

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Raus aus der Kernkraft bis 2025, das war der klare Auftrag an Tinne van der Straeten. Die flämische Grüne wurde von ihrer Partei im Oktober 2020 als Energieministerin in die Regierung von Ministerpräsident Alexander De Croo geschickt, damit niemand mehr an dem Beschluss rütteln sollte. Vor fast zwanzig Jahren war der Ausstieg in Belgien in Gesetzesform gegossen worden, doch immer wieder wurde er angezweifelt, zuletzt im Herbst vergangenen Jahres, als die Energiepreise zu steigen begannen und vor allem die Liberalen Laufzeitverlängerungen forderten. Die Ministerin sagte: Nein. Doch der russische Angriff auf die Ukraine hat alles geändert.

Zwei der sieben noch im Betrieb befindlichen belgischen Reaktoren sollen bei Bedarf bis 2035 laufen können - mit dem Vorschlag ging die Ministerin an diesem Freitag in die Sitzung der Regierung, die sich am Abend laut Ministerpräsident De Croo schließlich einigte, dass die belgische Energieversorgung zunächst auch mit Atomkraft gesichert bleiben soll. Von einem "Jour-J", einem D-Day für die Kernenergie, schrieb die Zeitung Le Soir.

Ein Kompromiss schien noch bis zum Donnerstag gesichert zu sein: Die Grünen finden sich mit der Laufzeitverlängerung ab, dafür erhalten sie im Gegenzug ein viele Milliarden schweres Ausbauprogramm für erneuerbare Energien. Doch kurz vor der Sitzung forderten die Liberalen, notfalls alle sieben Reaktoren weiterlaufen zu lassen. Christdemokraten, Grüne, Liberale und Sozialisten sind in der Regierung versammelt, insgesamt sieben Parteien, entsprechend kompliziert gestalteten sich die Debatten.

Es geht um Putin, also ums Prinzip

Der ausgeprägte belgische Föderalismus macht es der Ministerin van der Straeten immer wieder schwer, die belgische Energieversorgung in Richtung Klimaneutralität zu entwickeln. Erdgas sollte, wie in Deutschland, als Brückentechnologie dienen, das war der "Plan A" der Ministerin. Doch die flämische Regierung weigert sich, Baugenehmigungen für dringend benötigte neue Kraftwerke zu erteilen. Der Anteil an russischem Erdgas in belgischen Leitungen ist verglichen mit Deutschland gering, doch nun geht es um Wladimir Putin, also ums Prinzip. Deshalb jetzt "Plan B".

Die sieben noch aktiven Reaktoren verteilen sich auf zwei Standorte, Doel in Ostflandern und Tihange in Wallonien. Doel 4 und Tihange 3 sollen weiterlaufen, doch so einfach ist das nicht. Die beiden Reaktoren sind nur bis 2025 ausgelegt und müssten für viel Geld umgebaut werden, um den seit dem Unglück in Fukushima 2011 geltenden Sicherheitsbestimmungen zu genügen. Der in Frankreich beheimatete Energiekonzern Engie, Betreiber der sieben Reaktoren, hat schon wissen lassen, man hätte die Entscheidung für eine Laufzeitverlängerung schon vor zwei Jahren gebraucht, um die Umbauten fristgerecht vollenden zu können. Darüber hinaus teilt der Konzern immer wieder mit, er sehe seine Zukunft nicht in der Atomkraft, sondern in Gas und erneuerbaren Energien.

Ministerin Tinne van der Straeten hat bereits informelle Gespräche mit Konzernverantwortlichen geführt. Man ahnt: Der Ausstieg vom Ausstieg wird den belgischen Staat viel Geld kosten.

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