Süddeutsche Zeitung

Belarusse Ljawon Wolski:Vom Staat bekämpfte Musik-Ikone

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Rockmusiker Ljawon Wolski hat schon lange Ärger mit der Lukaschenko-Regierung. In seinem Heimatland kann er allenfalls in privaten Kleinklubs auftreten. Doch die aktuellen Entwicklungen in Belarus beflügeln ihn.

Von Frank Nienhuysen

Ljawon Wolski geht ans Telefon und sagt nur kurz: "die Roaming-Gebühren", legt auf und schickt eine polnische Nummer. Er ist gerade in Warschau, im Nachbarland. Am Samstagabend trat der belarussische Rockmusiker im Nationalstadion bei einem großen Solidaritätskonzert für Belarus auf, für die Protestbewegung. Wie könnte Wolski da auch fehlen?

In seiner Heimat Belarus ist er eine vom Staat bekämpfte Musik-Ikone: Es gibt Auftrittsverbote, er wird vom Radio ignoriert, ist abgeschoben in die Nischen privater Kleinklubs. Er hat schon seit Jahrzehnten Ärger mit der Staatsmacht in Minsk, aber was jetzt passiert, ist auch für den 55-Jährigen ungewöhnlich.

Wolski meint nicht die Massenfestnahmen, die Gewalt der Sicherheitskräfte, er sagt: "Druck, Einschüchterung - in den Methoden erkenne ich nichts Neues, Kreatives. Sie können nicht anders." Es sei die Bevölkerung, die sich verändert habe. "Das Land hat lange geschlafen. Jetzt ist es aufgewacht. Nie waren die Menschen so bereit für Veränderung. Die vielen Fahnen der Opposition, das ist Euphorie für mich." Umgekehrt gilt: "Musik hilft wiederum den Menschen, Krisen zu überstehen." Wolski ist wieder sehr gefragt.

Vor und unmittelbar nach der Präsidentenwahl Anfang August ist er einige Male in Minsk aufgetreten, kurzfristig, unter dem Gejubel der Protestbewegung. Große Säle waren natürlich tabu. Vor einer Woche hat er eine neue Single veröffentlicht, sie heißt auf Belarussisch "Woragi Narodu", Feinde des Volkes, klassischer Hardrock-Sound.

Das Video dazu ist sehr düster: eine Collage aus den Höllenmalereien von Hieronymus Bosch und aktuellen Bildern aus Minsk, Videoschnipseln von der schwarz gekleideten Sonderpolizei. "Ohne Ironie, ohne Sarkasmus und ein bisschen Kritik geht es bei mir nicht", hat Wolski schon mal in einem früheren Interview gesagt.

Das Rebellische gilt ja grundsätzlich als Wesenszug von Rockmusikern. Für Ljawon Wolski ist es existenzbedrohend, allein für Freiheit und Liberalität zu singen. Er ist der Sohn des belarussischen Schriftstellers Artur Wolski und der russischsprachigen Dichterin Swetlana Jewsejewa und sagte einmal: "Ich habe die Sowjetunion nie geliebt."

Ein Gefühl wie der Berliner Mauerfall war es für ihn, als 1991 die Sowjetrepublik unabhängig wurde und er auf einer großen Bühne in Minsk stand, ein weiß-rot-weißes Fähnchen der Unabhängigkeitsbewegung an die Gitarre gesteckt und Tausende Menschen vor sich. "Damals habe ich gedacht, wir gehen den Weg in die europäische Demokratie." Aber als drei Jahre später Alexander Lukaschenko Präsident wurde, geriet der Musiker in schwere Zeiten.

In Belarus blieben Wolski nur kleine Konzerte

Wolski singt fast nur auf Belarussisch, für Lukaschenko war das damals die Sprache des Dorfes und der intellektuellen städtischen Widerständler. Der Musiker war inspiriert von den Sex Pistols und Nirvana, seine Songs mit den Bands N.R.M. oder Krambambulja sind gesellschaftskritisch, in einem autoritären Land wie Belarus ist das politisch zugleich.

Wolski wurde abgedrängt. Insgesamt zehn Jahre lang, verteilt auf mehrere Perioden, durfte er in Belarus nicht öffentlich auftreten. Stattdessen musste er von seinem nationalen, belarussischen Zentrum aus gesehen in den Orbit ausweichen: Alben in Litauen aufnehmen, Konzerte in Polen geben, in der Schweiz, Deutschland, den USA. Wolski trat auch auf dem Maidan auf, in Kiew im Jahr 2004. In Belarus blieben ihm nur kleine Konzerte, spontan vor ein paar Dutzend Leuten, allein mit seiner Gitarre. Dafür braucht er keine Erlaubnis.

In Stockholm ist Wolski für seinen Einsatz für Meinungsfreiheit vor vier Jahren mit dem Freemuse Award belohnt worden. Auch das Solidaritätskonzert am Wochenende in Polen war für ihn eine Auszeichnung, die in Minsk derzeit unmöglich erscheint. "Vorerst kann ich dort sicher nicht auftreten", sagt er, "die schwarze Liste ist lang."

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SZ vom 28.09.2020
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