Süddeutsche Zeitung

Ausländische Medien:Mach schon, Merkel!

Lesezeit: 5 min

Die mächtigste Frau der Welt soll endlich zeigen, wo es in Europa langgeht, fordert das US-Magazin Newsweek. SZ-Korrespondenten berichten, was Amerika und europäische Staaten von der Kanzlerin erwarten.

Mächtigste Frau der Welt. Sparsam und besonnen. Diplomatisch, bewundernswert gelassen. So haben ausländische Medien Angela Merkel in den vergangenen Jahren gelobt.

Doch die bedingungslose Bewunderung bröckelt: "Waiting for Merkel - why Germany doesn't want to lead" ("Warten auf Merkel - warum Deutschland nicht die Führung übernehmen will"), titelt nun die Europa-Ausgabe von Newsweek, eines der führenden amerikanischen Nachrichtenmagazine. Auf dem Cover sind, unverkennbar, die gefalteten Hände der Kanzlerin abgebildet, ruhig und regungslos.

Angesichts Griechenlandkrise und Euro-Schwäche blicken nicht nur die Amerikaner erwartungsvoll in Richtung Angela Merkel, die das Forbes-Magazin im vergangenen Jahr zum vierten Mal in Folge zur mächtigsten Frau der Welt gekürt hat. Was erwarten Politiker und Meinungsmacher im Ausland von der deutschen Regierungschefin?

USA

Der Newsweek-Artikel, der zu den gefalteten Händen der Kanzlerin gehört, trägt die Überschrift "Slow-Motion Merkel". In der Analyse schwingt ein resignierter, fast schon verzweifelter Unterton mit: "Europa braucht einen Anführer, aber die geeignete Kandidatin will den Job nicht übernehmen."

Der deutschen Regierungschefin könne in Europa nun mal keiner das Wasser reichen, heißt es weiter: weder der unberechenbare, hyperaktive Nicolas Sarkozy, noch die lahme britische Ente Gordon Brown, noch der spanische Premier José Luis Rodríguez Zapatero. Aber irgendwie habe Merkel keine Lust auf ihre Führungsrolle - zu sehr seien sie und Deutschland darauf fixiert, den Status quo zu erhalten.

Bereits Anfang März hatte Business Week, eines der führenden Wirtschaftsmagazine der Welt, Merkel aufs Titelblatt gehoben und gefordert: "Deutschland oder Europa - Merkel muss entscheiden."

Und im Januar schmückte das Konterfei Merkels das Time-Cover. "Frau Europa" titelte das renommierte Nachrichtenmagazin auf Deutsch und fragte sich, ob und wie die unangefochtene Chefin des bevölkerungsreichsten europäischen Staates ihren Einfluss zu nutzen gedenke.

Die Geschichten spiegeln die Deutschland- und Europa-Skepsis wider, die derzeit in den USA um sich greift. Die EU mit ihren Streitereien ums Protokoll nervt die Amerikaner, Obama scheint keine Lust mehr zu haben auf EU-USA-Gipfel, bei denen außer Goodwill-Erklärungen kaum etwas herauskommt. Erst kürzlich sagte er seine Teilnahme an einem solchen für Mai geplanten Treffen wieder ab.

Merkel ist quasi die Personifizierung dieser Enttäuschung. Noch vor der Bundestagswahl 2009 waren die Amerikaner geduldig, sahen ein, dass sie erst mal ihre Wiederwahl hinter sich bringen müsse. Aber jetzt sei es doch bitte Zeit für den Aufbruch!

Großbritannien

Die Briten sehen es natürlich anders: Auf den Inseln hat Angela Merkel das Image der soliden Hausfrau inne, das eine Zeitlang auch Margaret Thatcher zugutekam - allerdings ohne die schrillen und bedrohlich wirkenden Aspekte der ehemaligen britischen Premierministerin. Man weiß, dass sie kein Charisma hat, hält aber gerade dies für einen Vorteil in einer Zeit, wo es auf Nüchternheit und Besonnenheit ankommt.

Dass die deutsche Kanzlerin im Gegensatz zu den grundsätzlich liberalistisch eingestellten Briten auf eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte - und damit der City of London - dringt, nimmt man ihr nicht so übel wie etwa dem französischen Präsidenten. Von Nicolas Sarkozy erwarten die Briten gleichsam reflexhaft immer das Schlimmste. In diesem Sinn wird Angela Merkel innerhalb der EU als ausgleichendes Gegengewicht zu dem Franzosen gesehen.

In einem Wahljahr, in dem die Briten sich zwischen zwei unbeliebten Spitzenkandidaten entscheiden müssen, äußern sie einem Deutschen gegenüber so manches Mal seufzend den Wunsch, jemand wie Angie solle sich doch auch im Königreich zur Wahl stellen.

Frankreich

Auch in Frankreich ist das Interesse an Madame Merkel groß. Zum einen, weil in diesem Land noch nie eine Frau das mächtigste Amt im Staat erlangt hat - obwohl Frauen ansonsten im Berufsleben und auch in Führungsjobs stärker vertreten sind als in Deutschland.

Zum anderen, weil sie aus dem kommunistischen Osten kommt - ein für Franzosen fast schon exotisch anmutender Erfahrungshintergrund. Schließlich bildet Angela Merkel mit ihrer kühlen, abwägenden und eher spröden Art einen Gegenpol zum hibbeligen und aktionistischen Nicolas Sarkozy.

Geradezu fasziniert wirken die französischen Medien auch von ihrem unspektakulären, zurückhaltenden Privatleben - von Sarkozy sind sie anderes gewohnt. Die Wochenzeitung Le Point schrieb einmal, Merkel verströme "das Charisma eines Trabants".

Sehr positiv wird in Frankreich wahrgenommen, dass Sarkozy und Merkel inzwischen gut zusammenarbeiten. Der französische Präsident bezeichnet Deutschland als wichtigsten Partner und zugleich als wichtigsten Konkurrenten. Darin schwingt viel Respekt mit - auch für Merkel.

Besonders imponiert den Franzosen, wie selbstbewusst und natürlich Merkel bei internationalen Gipfeltreffen und im Gespräch mit Weltmächtigen wie Obama oder Putin auftritt. Die Franzosen diskutieren darüber, ob es in Frankreich eine Madame Merkel geben könnte. Manche glauben, bereits eine entdeckt zu haben: die sozialistische Oppositionschefin Martine Aubry.

Allerdings wandelt sich auch in Frankreich, ähnlich wie in den USA, das Bild von Merkel: Seit Jahresanfang schreiben die französischen Blätter, Merkel fehle es in der schwarz-gelben Koalition an Führungsstärke. Daran stört sich auch Sarkozy gerne, obwohl er weiß, dass eine deutsche Kanzlerin beim Regieren viel mehr Kompromisse eingehen muss als ein französischer Präsident.

Die Franzosen wünschen sich von Merkel, bei aller Wertschätzung, mehr Führungskraft und auch etwas mehr Emotionalität.

(ul)

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die Kanzlerin in Polen und der Türkei ankommt.

Polen

Es kommt nicht selten vor, dass es das Konterfei eines deutschen Regierungschefs auf den Titel eines polnischen Nachrichtenmagazins schafft. Schließlich ist die Bundesrepublik der wichtigste Nachbar Polens.

Gleichzeitig ist die Nachbarschaft historisch so beladen wie höchstens noch das deutsch-französische Verhältnis. Genau das ist das Problem: Immer wieder überlagern historische Streitereien, Stereotypen und Unterstellungen die Berichterstattung polnischer Medien über deutsche Politiker, insbesondere im Magazinbereich - auch bei Angela Merkel.

So fühlen sich die Polen oft vom mächtigen, einflussreichen Deutschland nicht ernst genommen und bevormundet, diesen Frust projizieren sie auf die deutsche Regierungschefin. Als Illustration dient dann schon mal eine barbusige Merkel, die "Stiefmutter Europas", die die Kaczynski-Zwillinge, damals Präsident und Premier Polens, an ihren Brüsten säugt und wie kleine Kinder behandelt. Ein andermal wurde die deutsche Regierungschefin mit Hitlerbärtchen abgebildet - Nazi-Motive gehen besonders bei radikalen Zeitschriften in Polen immer gut.

Doch Merkel kann aufatmen. Denn Umfragen zeigen regelmäßig, dass die Polen selbst ein sehr viel positiveres und differenzierteres Bild von ihren deutschen Nachbarn und deren politischen Führung haben, auch auf Grund der engen Vernetzung auf privater Ebene. Positiv stimmt es die Polen, dass Merkel ein deutlich weniger herzliches Verhältnis zu Russland pflegt, als es etwa Gerhard Schröder mit seiner Männerfreundschaft zu Wladimir Putin tat. Außerdem kommt es in Polen gut an, dass Merkel von Helmut Kohl gefördert wurde - der Altkazler wird wegen seiner Verdienste zur Wendezeit in Polen sehr verehrt.

Gerade beim Merkelbild der jungen Polen schwingt allerdings auch Enttäuschung über Deutschland mit, zum Beispiel, wenn es darum geht, dass die Bundesrepublik sich gegen osteuropäische Arbeitskräfte und Einwanderer abschirmt. Der große Nachbar im Westen war dort weit weniger offen als zum Beispiel Großbritannien, Irland oder Spanien.

Türkei

Völlig andere Themen bestimmen das Ansehen der deutschen Kanzlerin in der Türkei. Die Türken nehmen Angela Merkel vor allem übel, dass sie Gerhard Schröder vom Thron gestoßen hat. Denn Schröder war einer der besten Freunde, den die Türkei in Europa je hatte.

Nun aber steht an der Spitze des mächtigsten Landes der EU eine Frau, die kein Geheimnis daraus macht, dass es ihr am liebsten wäre, wenn die Türken nie Mitglied der EU werden würden.

Stattdessen schwebt ihr und ihrer Partei eine "privilegierte Partnerschaft" vor - was sich in den Augen eines sarkastischen türkischen Kolumnisten so übersetzen lässt: "weder Privilegien, noch Partner".

Immerhin: Man hält Merkel zugute, dass sie - anders als Nicolas Sarkozy - mit dem Thema Türkei nie innenpolitisch über die Bande spielt und anders als manche CSU-Politiker auf populistisches Türkenprügeln verzichtet. Im "Sauren Wörterbuch", einer populären türkischen Online-Enzyklopädie findet sich dieser Satz: "Ehrliche Frau, die den Türken ihre Meinung ins Gesicht sagt".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.17715
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
N/A
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.