Süddeutsche Zeitung

Wikileaks:Die Anklage gegen Assange ist eine Warnung an alle Journalisten

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Was die US-Justiz gegen den Wikileaks-Gründer vorbringt, ist dünn - große Teile der Anklage beschreiben normale Recherchearbeit. Wenn er dafür verurteilt wird, stehen düstere Zeiten bevor.

Kommentar von Bastian Obermayer

Kaum war Julian Assange von der Londoner Polizei aus der ecuadorianischen Botschaft getragen worden, jubelten Teile der deutschen und internationalen Presse, allen voran die Bild-Zeitung. Hass und Verachtung für Assange sind so weit verbreitet, dass die höchst fragwürdigen Grundlagen dieser Verhaftung ignoriert werden. Dabei müsste jeder Journalist zusammenzucken, der die US-Anklage liest. Sie stellt die Grundlagen journalistischer Arbeit infrage.

Assange, der zwar kein klassischer Journalist ist, aber doch journalistisch gearbeitet hat, wurde wohl hauptsächlich wegen dieser Anklage festgesetzt; ihretwegen droht ihm nun die Auslieferung in die USA. Nur ein Punkt der Anklage ist unstrittig unjournalistisch: Sollte Assange geholfen haben, ein Passwort zu knacken, hat er sich strafbar gemacht. Das wäre nach deutschem Recht nicht anders. Auch wenn nicht einmal klar ist, ob Assanges Hilfe entscheidend war oder ob der beschriebene Hacking-Versuch erfolgreich war - Hacken hat nichts mit Journalismus zu tun. Ob es am Ende strafbar ist, muss ein Gericht entscheiden. Was in der Anklage dann aber folgt, ist eine schockierend kriminalisierende Beschreibung von absolut angemessenen journalistischen Vorgehensweisen.

Teil von Julian Assanges Verschwörung mit der Whistleblowerin Chelsea Manning, so heißt es, sei es gewesen, dass er versucht habe, seine Quelle zu schützen. Das macht jede gute Journalistin und jeder gute Journalist. Umgekehrt ist es so, dass ein Journalist, der seine Quellen nicht schützt, seinen Beruf verfehlt hat und vor die Tür gesetzt werden sollte.

Genauso gefährlich und unsinnig ist der Vorwurf, Assange habe einen verschlüsselten Chat-Service genutzt, um geheime Absprachen mit Manning zu treffen. Auch das ist unter Journalisten - insbesondere unter investigativ arbeitenden Journalisten - so normal wie der Griff zum Telefon. Selbstverständlich nutzt man verschlüsselte Chats mit geheimen Quellen, denen im Fall einer Entdeckung Gefängnis droht. Manning übrigens wurde zu einer Haftstrafe verurteilt, obwohl durch ihr Tun Kriegsverbrechen der Amerikaner im Irak ans Licht kamen.

Und schließlich findet sich noch der Vorwurf, Assange habe Manning "ermutigt", ihm "Informationen und Dokumente von US-Regierungsstellen zu übergeben". Aber natürlich hat er das, und zwar, weil Journalisten so an exklusives Material kommen. Die rote Linie verläuft dort, wo Journalisten zum Diebstahl auffordern. Die Ermutigung zum Übergeben ist aber eindeutig auf der legalen Seite - darunter fällt etwa die Versicherung, sich das Material gewissenhaft anzusehen, es zu prüfen und gegebenenfalls zu veröffentlichen. Oder aber die Bestätigung, dass der Vorgang bedeutend erscheint. Wenn das nicht erlaubt sein soll, kann man jede Art von kritischem Recherchejournalismus einstellen, der sich auf interne Regierungsunterlagen bezieht. Auch bei den Panama Papers haben SZ-Reporter ihren Informanten geschützt, über verschlüsselte Chats kommuniziert - und John Doe ermutigt, ihnen Dokumente zu übergeben.

Diese Anklage ist dünn, womöglich aus der Not der Ankläger geboren, weil sie nichts Besseres fanden. Aber sie ist auch eine Warnung. Wenn solche Anklagen Schule machen, und wenn Journalisten - egal ob sie Australier sind wie Assange oder eben Deutsche - deswegen mit Verhaftung und Auslieferung in die USA rechnen müssen, dann leben wir tatsächlich in einer dunklen Zeit für den Enthüllungsjournalismus.

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