Süddeutsche Zeitung

Asien und Afrika:Quarantäne und Kuhdung gegen Corona

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Südkorea dachte, das Schlimmste hinter sich zu haben. Indien und die afrikanischen Staaten hoffen noch, verschont zu bleiben.

Von Bernd Dörries, Thomas Hahn und Arne Perras, Kapstadt/Tokio/Singapur

Anfang der Woche gab es zaghafte Zeichen der Besserung bei Südkoreas Wettlauf mit dem neuartigen Coronavirus. In der wöchentlichen Sitzung mit seinen Staatssekretären wagte Präsident Moon Jae-in deshalb am Montag ein kurzes Selbstlob. Seine Regierung verlangsame erfolgreich die Verbreitung des Krankheitserregers. Die wochenlangen Anstrengungen mit Massentests, heruntergedimmtem öffentlichen Leben und Appellen an die Disziplin der Bürger schienen sich auszuzahlen.

Aber dann wurde die nächste Masseninfektion bekannt: Mindestens 90 Fälle stehen laut dem Koreanischen Zentrum für Seuchenkontrolle (KCDC; Korea Centers for Disease Control and Prevention) mit dem Callcenter einer Versicherungsfirma im Seouler Stadtteil Guro in Verbindung. Und die KCDC-Daten zeigen plötzlich wieder einen anderen Trend. Die Zahl der Covid-19-Infizierten stieg um 242 auf 7755, nachdem tags zuvor nur 131 dazugekommen waren. Es sieht doch nicht nach Besserung aus.

Jedes Land scheint seinen eigenen Kampf gegen das neuartige Coronavirus zu führen. Aber jeder dieser Kämpfe geht alle anderen Länder an, denn diese Krise umspannt die Welt. Alle suchen nach dem richtigen Umgang damit. Und aus der Wohlstandsgesellschaft Südkorea kommt also nach mehreren Wochen mit Virus die Botschaft: Aussicht auf eine schnelle Lösung gibt es nicht, wenn es mal da ist. Auch mit drastischen Einschränkungen nicht.

In Südkorea stand das Betreten des öffentlichen Raumes recht bald unter Virus-Vorbehalt. Schon vor vier Wochen sah Seoul aus wie eine Stadt im Halbschlaf. An Eingängen schlecht besuchter Einkaufszentren wurde die verbliebene Kundschaft mit Temperaturscannern geprüft. Die nationale Fußballliga verschob ihren Saisonstart. Und als am 21. Februar bekannt wurde, dass eine Kirche der religiösen Bewegung Shincheonji in Daegu Ort einer Masseninfektion war, wurde für die Millionenstadt in Südkoreas Südosten umgehend eine deutliche Empfehlung zum Daheimbleiben ausgesprochen. Dazu startete ein beispielloses Testprogramm.

Jeden Tag schlüsselt das KZSK detailliert auf, wie viele Menschen sich in Isolation befinden (Stand 11. März: 7407), wie viele wieder genesen sind (288), wie viele gestorben sind (60), wie sich die Positivtests auf das Land verteilen und so weiter. Der neueste Zwischenstand? Es klappt nicht, neue Infektionscluster zu verhindern. Unter dem Eindruck der Ansteckungen im Seouler Callcenter steuert die Politik verzweifelt nach. Die Regierung hat Arbeitsplätze, an denen sich Menschen sammeln, zu Risikozonen erklärt, etwa Callcenter, Fitnessstudios, Nachtclubs. Flexible Arbeitszeiten und größere Abstände zwischen Schreibtischen sollen unter anderem das Infektionsrisiko mindern. Seouls Bürgermeister Park Won-soon will 400 Callcenter prüfen und Betreiber bitten, Karaokebars, Clubs and Internetcafés zu schließen. Außerdem hat die Stadt alle U-Bahnzüge der Linie 1 desinfizieren lassen sowie den Bahnhof Sindorim mit Steigen, Treppen, Durchgängen, weil dort viele Callcenter-Mitarbeiter verkehrten.

Immerhin, Südkorea ist ein reiches Land. Anderswo wäre ein Ausbruch möglicherweise noch bedenklicher. In Indien zum Beispiel gibt es angesichts seiner Milliardenbevölkerung noch vergleichsweise wenige bestätigte Fälle, 52 waren es am Mittwoch. Experten vermuten allerdings, die tatsächliche Zahl könnte schon viel höher liegen. Einige der bekannten Infektionen gehen offenbar auf eine italienische Reisegruppe zurück, die Mitte Februar Rajasthan besuchte. Das Land reagiert nun mit zunehmender Abschottung nach außen, Staatsbürger aus nahezu einem Dutzend Ländern dürfen nicht mehr einreisen. Ihre Visa wurden vorübergehend für ungültig erklärt, das trifft nun auch die Deutschen.

Die miserablen hygienischen Bedingungen, unter denen vor allem die ärmeren Inder zu leiden haben, bereiten jetzt noch größere Sorgen. Das öffentliche Gesundheitssystem ist marode. Millionen haben kaum eine Chance, sich behandeln zu lassen. Für private Kliniken, die besser ausgestattet sind, fehlt den meisten das Geld. Die Enge in Indiens Städten dürfte es sehr schwer machen, die Ausbreitung des Virus zu bremsen. Wer jemals versucht hat, einen Pendlerzug in der Metropole Mumbai in Stoßzeiten zu besteigen, weiß, was Überfüllung wirklich bedeutet.

Erschwerend kommen viele fragwürdige bis unsinnige Gesundheitstipps hinzu, die in den sozialen Medien zirkulieren. Als reiche es schon, eine Knolle Knoblauch zu verzehren, um sich gegen das Virus zu schützen. Eine Politikerin der Regierungspartei BJP empfahl gar, Kuhdung zu verbrennen und zu inhalieren, weil der Rauch vor dem Virus schütze. Pseudowissenschaftliche Ratschläge vernebeln so die nützlichen Botschaften der Virologen.

Und Afrika? Von allen Weltregionen gehört der Kontinent bisher zu den am wenigsten betroffenen Gebieten. Bis Mittwoch hat es etwa 100 bestätigte Fälle gegeben, die Mehrzahl davon in Südafrika. Die meisten der 55 Länder des Kontinents haben bisher keine Erkrankungen gemeldet. Experten rätseln, ob die niedrige Zahl nur darauf zurückzuführen ist, dass in vielen Ländern zumindest zu Beginn der Epidemie die Testmöglichkeiten fehlten, oder ob der Kontinent bisher einfach Glück hatte.

"Unsere Sorge ist, dass sich das Coronavirus in Länder mit schwachen Gesundheitssystemen ausbreiten kann", sagte WHO-Chef Tedros Ghebreyesus bereits im Februar. Bisher ist das nicht eingetreten, obwohl Afrika rege Handelsbeziehungen zu China pflegt und bis zu zwei Millionen Chinesen auf dem Kontinent leben. Als eine der wenigen Fluglinien der Welt steuert die nach internationalen Destinationen viertgrößte Airline der Welt, Ethiopian Airlines, weiter fünf Ziele in China an. "Es ist moralisch nicht akzeptabel, nicht mehr nach China zu fliegen, weil es dort ein temporäres Problem gibt", sagte Ethiopian-Chef Tewolde Gebremariam.

Und sehr viele der in Subsahara-Afrika bisher bekannt gewordenen Fälle haben sich nicht in China infiziert, sondern in Italien oder Frankreich. Den meisten Patienten geht es offenbar recht gut, es gab nur wenige Todesfälle. Experten sagen, Afrika könne es helfen, dass seine Bevölkerung sehr jung ist und einige besonders fragile Staaten durch die Ebola-Krisen Erfahrung im Umgang mit einer Epidemie haben.

In Südkoreas Konsumgesellschaft hingegen sieht es so aus, als zeigten sich Weiterungen der Krise. Die Korea Times berichtet von zwei Suizidfällen. Die Opfer gehörten der Shincheonji-Kirche an.

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SZ vom 12.03.2020
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