Süddeutsche Zeitung

Arbeitsmarktreform:SPD debattiert Abkehr von Hartz IV

Lesezeit: 2 min

Die Sozialdemokraten wagen sich an den Kern von Schröders Agenda-Politik. Ein Diskussionspapier aus Hessen fordert eine Rückbesinnung auf die Devise: Wer länger einzahlt, bekommt mehr raus.

Susanne Höll, Marc Widmann und Thomas Öchsner

Mit einem Vorstoß zur Besserstellung von Arbeitslosen haben die hessischen Sozialdemokraten in der Bundes-SPD die Diskussion über die Reform der rot-grünen Hartz-Gesetze gestartet. Der hessische Landesvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel will der Parteiführung in Berlin ein Diskussionspapier vorlegen, wonach bestimmte Erwerbslose künftig mehr Geld erhalten sollen.

Die Hessen-SPD möchte einen neuen "Anerkennungsbonus" für Empfänger von Arbeitslosengeld II einführen, der sich - ähnlich wie vor der Reform - nach der Zahl der eingezahlten Monatsbeiträge richtet. Der Zuschlag soll umso höher ausfallen, je länger ein Arbeitsloser früher gearbeitet hat.

"Damit findet das Leistungsprinzip wieder stärker Berücksichtigung", sagte der hessische SPD-Generalsekretär Michael Roth der Süddeutschen Zeitung. Auch will die Hessen-SPD die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I, die bislang meist bei zwölf Monaten liegt, auf 24 Monate ausweiten, wenn der Arbeitssuchende an einer beruflichen Weiterbildung teilnimmt.

Ferner wollen die Sozialdemokraten einen neuen Arbeitsmarkt für Menschen schaffen, die bislang als nicht vermittelbar gelten und künftig soziale und ökologische Tätigkeiten in Kommunen übernehmen sollen. Erwogen wird auch ein neuer Fonds zur betrieblichen Weiterbildung, der vor allem Beschäftigten kleinerer und mittlerer Unternehmen zugute kommen soll.

Roth kündigte an, es handele sich nicht um eine "kleinkarierte Abrechnung mit Hartz IV" sondern um eine Weiterentwicklung der Agenda 2010. "Wir machen das, wozu uns (Altkanzler) Gerhard Schröder ermutigt hat. Er hat ja gesagt, dass die Agenda 2010 nicht in Stein gemeißelt ist", sagte Roth.

Die hessischen Vorschläge werden nach Angaben aus der Bundes-SPD auf der Klausurtagung der Partei am übernächsten Wochenende in Berlin diskutiert. Entscheidungen seien dort aber nicht zu erwarten, da man zunächst ein wirtschafts- und arbeitspolitisches Gesamtkonzept erarbeiten wolle. Darin sollen auch Vorschläge für eine Reform des Hartz-IV-Systems enthalten sein.

Bundesregierung gegen Grundrevision

Auch der stellvertretende CDU-Vorsitzende und nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers forderte, die Hartz-IV-Gesetze grundlegend zu ändern. "Alleinerziehende Mütter tragen mit das größte Armutsrisiko in Deutschland. Es kann nicht sein, dass die Entscheidung für das Kind bestraft wird", sagte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Rüttgers sagte, eine Grundrevision des Systems müsse sich an der ursprünglichen Idee orientieren. Diese besagt, dass die Jobcenter Arbeitslose "fordern und fördern" sollen.

Die Bundesregierung sprach sich jedoch gegen eine Grundrevision aus. Die Regelungen seien seit dem Start vor fünf Jahren immer wieder verändert worden, sagte ein Sprecher des Arbeitsministeriums. Das System werde ständig fortentwickelt, etwa bei den Möglichkeiten Geld, hinzuzuverdienen.

Sozialverbände fordern seit langem Korrekturen an der Hartz-Reform. "Die Regierung muss die Regelsätze bedarfsgerecht erhöhen, besonders bei Kindern. Auch muss rasch wieder die Möglichkeit geschaffen werden, große einmalige Belastungen, etwa den Kauf von Haushaltsgeräten, von den Sozialämtern zu finanzieren", sagte die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher, der SZ. Von 359 Euro könne man keine Rücklagen bilden, um einen kaputten Herd zu ersetzen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.61242
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 09.01.2010
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.