Süddeutsche Zeitung

Anschlag in Metro:Die Terrorgefahr lauert auch in Russland

Lesezeit: 3 min

Von Frank Nienhuysen

Der Kampf gegen den Terror schweißt Nationen zusammen, vielleicht kam deshalb so schnell die Amtshilfe aus der Ferne. Der Geheimdienst im zentralasiatischen Kirgisistan spielte den Russen nur Stunden nach dem schrecklichen Anschlag in der U-Bahn von St. Petersburg Informationen über den 22 Jahre alten Akbarschon Dschalilow zu - einen jungen Mann mit Hipster-Bart und Brille, fotografiert von einer Überwachungskamera kurz vor dem Anschlag in der Metro. Dschalilow kommt demnach aus dem südkirgisischen Osch, einer islamisch-konservativ geprägten Stadt. Er ist usbekischer Herkunft, hat aber seit etwa sechs Jahren einen russischen Pass und soll als Koch in einer Petersburger Sushi-Bar gearbeitet haben.

Die Attacke zeigt: Das Muster der Bedrohung hat sich verändert

Am späten Nachmittag legten sich die russischen Ermittler fest: Dschalilow, der bei der Explosion getötet wurde, war ein Attentäter. An zwei Bomben seien seine DNA-Spuren gefunden worden. Dschalilow soll nach russischen Medienberichten im Februar für einige Wochen in seiner kirgisische Heimat gereist und "völlig verändert" zurückgekehrt sein. Die Behörden gingen davon aus, dass er in Zentralasien von Extremisten angeworben wurde. Dschalilow galt ersten Berichten zufolge als unauffällig, "gar nicht wie ein radikaler Islamist", wie die russische Zeitung Moskowskij Komsomolez schrieb.

Es gab zunächst auch Hinweise auf einen angeblichen Verdächtigen, der aus Kasachstan stammen soll und unter den Opfern war. Die islamistische Spur galt jedenfalls als die wahrscheinlichste. Die Angst vor islamistischem Terror ist in Russland schon immer groß gewesen, aber die Verbindung zu den Staaten Zentralasiens zeigt, dass sich das Muster der Bedrohung verändert hat. Die spektakulären Anschläge vergangener Jahre ließen sich in der Regel nach Tschetschenien oder eine der benachbarten Kaukasus-Republiken wie Dagestan oder Inguschetien zurückverfolgen, wo sich radikalisierte Islamisten oder Witwen kaukasischer Rebellen für Russlands blutige Tschetschenien-Kriege rächen wollten.

Die Terrormiliz IS betrachtet Russland als neues Kampfgebiet

Inzwischen aber ist die Lage vielschichtiger und damit für die russischen Sicherheitsbehörden auch unberechenbarer und komplizierter geworden. Als am Montag die Welt nach St. Petersburg schaute, erschossen im Süden, am Kaspischen Meer, Extremisten aus Astrachan und aus Dagestan bei einer Straßenkontrolle zwei russische Polizisten. Im vergangenen Sommer, ebenfalls kaum beachtet, töteten in St. Petersburg Beamte bei einer Anti-Terror-Razzia vier Mitglieder einer Islamistengruppe. Bei Moskau wiederum gingen zwei Tschetschenen mit Äxten auf Straßenpolizisten los, weil sie sich für den russischen Militäreinsatz in Syrien rächen wollten. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) reklamierte die Tat für sich und machte damit deutlich, dass sie Russland als neues Kampfgebiet betrachtet.

Die Trauer ist groß - genauso wie die Angst vor weiteren Terrorattacken: Mahnwache in Simferopol auf der von Russland annektierten Krim.

Ehrenwache: Blumen zum Gedenken der Opfer vor der Kreml-Mauer in Moskau.

Fassungslos: Ein Mann sinkt neben einer Gedenkstätte für die Opfer der Explosion auf den Boden des U-Bahnhofs Technologisches Institut.

An den Eingängen zur Station Sennaja Ploschtschad drängen sich die Einsatzfahrzeuge von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten.

Eintritt verboten: Infolge der Explosion wurden die Sicherheitsmaßnahmen im Moskauer Kreml verstärkt, die Durchfahrt unter dem Erlöserturm wird streng bewacht.

Nach der Detonation wurden alle U-Bahnhöfe geschlossen. Auch in Moskau patroullieren Polizeibeamte verstärkt.

Tage der Trauer: Die Fahnen des Marienpalasts, Sitz der Gesetzgebenden Versammlung Sankt Petersburgs, hängen auf Halbmast.

Nach Schätzungen der Moskauer Regierung kämpfen zwischen 4000 und 8000 russische Staatsbürger in den Konfliktzonen des Nahen Ostens. Der Generalsekretär des von Russland geführten Militärbündnisses ODKB sprach im vergangenen Jahr von 10 000 Extremisten aus den Vertragsstaaten dieser Organisation, zu denen auch die muslimisch geprägten zentralasiatischen Staaten Tadschikistan, Kirgisistan und Kasachstan gehören. Für die russischen Sicherheitsbehörden ist das insofern von Bedeutung, als Bürger dieser Länder ohne Visum einreisen können.

Extremistische Gruppen wie die Islamische Bewegung Usbekistans, zum Teil unterstützt von den afghanischen Taliban, hat es in Zentralasien schon seit den Neunzigerjahren gegeben. Doch beschränkten sie sich lange Zeit auf die Region. Sie radikalisierten sich im Widerstand gegen die dortigen Despoten, gegen den Alltag aus staatlicher Willkür und Korruption. Mit dem globalen Dschihad hatten sie zunächst nichts im Sinn.

Reiseverkehr des Terrorismus zwischen dem Nahen Osten und Russland

Doch dies änderte sich in den vergangenen Jahren, mit den Kriegen in Nahost, mit der länderumspannenden Finanzierung von Terrortaten und mit der dauerverfügbaren Propaganda im Internet, die manchem unterdrückten Muslim offenbar die Illusion von schnell erreichbarer Gerechtigkeit vermittelte.

Den globalen Reiseverkehr des Dschihad - einmal in den Irak oder nach Syrien und wieder zurück - gibt es nicht nur von Belgien aus, von London oder von Dinslaken. Ihn gibt es längst zwischen dem Nahen Osten und den Weiten Russlands und Zentralasiens. Russisch wurde zu einer Art Lingua franca auf den nahöstlichen Schlachtfeldern, auf denen kampferprobte tschetschenische oder dagestanische Extremisten immer häufiger das Kommando übernahmen. Kaukasische Extremisten hatten zwar jahrelang ihren eigenen Krieg um ein kaukasisches Emirat geführt, doch vor zwei Jahren schlossen sich mehrere Rebellenführer der kruden Ideologie des IS an und schworen dessen Anführer Abu Bakr al-Bagdadi die Treue.

Wanderarbeiter aus Zentralasien leben unter härtesten Bedingungen

Auch in die Türkei hat es Dschihadisten aus dem Kaukasus und Zentralasien gezogen. Ein Tschetschene galt als Kopf des Anschlags auf den Istanbuler Flughafen, ein Usbeke wurde des Terrors im Nachtklub Reina verdächtigt. Aber Gefahr lauert eben auch in Russland. So hat die russische Öffentlichkeit der Fall der Moskauer Philosophie-Studentin Warwara Karaulowa aufgeschreckt. Die junge Frau hatte sich zur Terrormiliz aufgemacht, ermuntert offenbar durch eine Internet-Romanze mit einem IS-Anhänger. Sie wurde an der türkisch-syrischen Grenze mit knapper Not aufgehalten. Karaulowa gab dem Problem der Rekrutierungen plötzlich ein Gesicht.

Anfällig sind jedoch einige in den Metropolen wie Moskau und St. Petersburg. Vor allem unter dem Heer der Wanderarbeiter aus Zentralasien dürften die Werbesprüche der Islamisten auf offene Ohren stoßen. Denn die harten Bedingungen, unter denen junge Muslime etwa als Bauarbeiter leben müssen - lange Arbeitszeiten, wenig Platz und Geld -, gelten als Nährboden für eine Radikalisierung. Und doch geht es insgesamt um extrem wenige in einem Land, in dem immerhin etwa 15 Millionen Muslime leben. Jahrelang ist es weitgehend ruhig geblieben in den Millionenstädten. Bis zu diesem Montag in St. Petersburg.

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SZ vom 05.04.2017
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