Süddeutsche Zeitung

Anschlag in Dortmund:Brief voller Ungereimtheiten

Lesezeit: 3 min

Am Tatort in Dortmund wird ein Schreiben entdeckt - es klingt, als erkläre der Islamische Staat Prominente in Deutschland zu Zielen. Doch es könnte sich auch um eine bewusst gelegte falsche Spur handeln.

Von Hans Leyendecker, Georg Mascolo und Nicolas Richter

Bekennerschreiben hat es in der Geschichte des Terrorismus viele gegeben. Manche waren nur schwer zu verstehen; oft hielten sich die Autoren nicht an die Regeln der Rechtschreibung. Die Rote Armee Fraktion (RAF) beispielsweise benutzte nur in ihrer Kapitulationserklärung 1998 die korrekte Groß-und Kleinschreibung. Auffällig waren in RAF-Briefen oft die inhaltlichen Brüche, die auf einen größeren Autorenkreis schließen ließen.

Das einseitige Schreiben, das nach dem Sprengstoffangriff auf den Mannschaftsbus des Fußballvereins Borussia Dortmund in der Nähe des Tatorts gefunden wurde und das Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR vorliegt, ist schon sehr ungewöhnlich. Es wird jetzt, wie es auch bei den Erklärungen der RAF war, von Spezialisten seziert. Bei erster, flüchtiger Lektüre deutet es klar auf einen islamistischen Hintergrund hin. Bei genauer Betrachtung aber offenbaren sich viele Ungereimtheiten.

Der Text besteht aus 91 Wörtern, verteilt auf acht Sätze. Der oder die Autoren haben ein Pamphlet verfasst, das ratlos macht. Es kann falsch, es kann echt sein. Die Einleitung "Im Namen Allahs, des Gnädigen, des Barmherzigen" wirkt echt, so beginnen Erklärungen islamistischer Terroristen oft. Der Missbrauch des Namen Gottes für ihre Mordtaten gehört zum Standardrepertoire. Aber so kann sich auch jemand, der mit der Terrororganisation "Islamischer Staat" oder deren Nachahmern nichts zu tun hat, den IS vorstellen.

Der Duktus des Schreibens ist so verquast, wie es auch andere Erklärungen von islamistischen Terroristen sind. Man braucht ein bisschen, um den ersten Satz zu verstehen: "12 ungläubige würden von unseren Gesegneten Brüder in Deutschland getötet", steht da. Das bezieht sich offensichtlich auf den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember, bei dem zwölf Menschen starben. Das Wort "Ungläubige" ist klein geschrieben, es heißt "würden" statt "wurden", "Gesegneten" ist groß statt klein geschrieben und bei den vermeintlichen "Brüdern" fehlt das "n". Hat das jemand geschrieben, der Deutsch erst lernt?

Der nächste Satz bezieht sich dann auf die Kanzlerin: "Aber anscheinend scherst du dich Merkel nicht um deinen kleinen dreckigen Untertanen". Also: Wieder alles orthographisch und auch sonst ziemlich falsch. Dann folgen zwei Sätze, die wirklich verwirren: "Deine Tornados", steht da, "fliegen immer noch über dem Boden des Kalifats, um Muslime zu Ermorden. Jedoch wir bleiben standhaft durch die Gnade Allahs." Warum schreibt jemand, der "würden" nicht von "wurden" unterscheiden kann, eine so schwierige Passage wie "über dem Boden des Kalifats, um..." richtig? Das schwierige Wort "standhaft" schreibt mancher nicht mal im Abitur korrekt. Merkwürdig.

Terrorexperten beugen sich jetzt über das Papier

Dass angeblich "ab sofort alle ungläubigen Schauspieler, Sänger, Sportler und sämtliche prominente in Deutschland und anderen Kreuzfahrer-Nationen auf Todesliste des Islamischen Staates" stehen, ist eine ungeheuerliche Drohung. Aber ist sie echt? Zielt der IS jetzt tatsächlich auf "Prominente" in der westlichen Welt?

Etliche Kriminalbeamte und Terrorexperten beugen sich jetzt über das Papier. Nach erster Einschätzung, so erklärt es ein Sicherheitsexperte, gehe man davon aus, dass ein deutscher Muttersprachler das Schreiben verfasst habe. Möglicherweise seien Fehler bewusst eingebaut worden, um so zu tun, als habe ein Ausländer die Zeilen geschrieben. Warum? Will jemand, der aus der radikalen Fan-Szene stammt, nur von sich ablenken? Oder ist das Pamphlet doch die Selbstbezichtigung eines Terroristen?

Verwirrend sind auch die Forderungen: Dass die "Tornados aus Syrien" abgezogen werden sollen, wo die Bundeswehr für Hunderte Aufklärungsflüge verantwortlich ist, passt noch, aber schreibt ein Salafist tatsächlich: "Ramstein Air Base muss geschlossen werden"? Jedenfalls ist dies eine Forderung, die den Experten für islamistischen Terror ziemlich neu ist. Sehr ungewöhnlich ist es auch, dass der Islamische Staat ein Papier am Tatort hinterlässt. In der Regel veröffentlichen islamistische Terroristen Erklärungen im Internet.

Bei der RAF einst war es mit der Überprüfung der Echtheit solcher Schreiben einfacher. Als Stempel verwendeten die Terroristen entweder den roten fünfzackigen Stern mit den weißen Großbuchstaben RAF auf schwarzer Maschinenpistole oder sie nahmen das kleinere Emblem: das mit dem rot umrandeten weißen, fünfzackigen Stern und den weißen RAF-Lettern auf dem Hintergrund einer roten Maschinenpistole.

Bei allen Erklärungen seit 1986 wurde nur Papier mit dem Wasserzeichen "Römerturm Klanghart" verwendet. Die Ermittler gingen davon aus, dass die RAF Mitte der achtziger Jahre eigens einen Papiervorrat für ihre wichtigeren Schreiben angelegt hatte. Wenn es in der Geschichte der RAF gefälschte Bekennerschreiben gab, was schon mal passierte, fielen sie sofort auf.

Heute ist es schwieriger: Der Terror geht nicht mehr nur von streng organisierten Zellen aus, sondern auch von Nachahmern und Sympathisanten, und zum Teil auch von psychisch Auffälligen. Manchmal nehmen gewaltbereite Gruppen auch Terrorakte für sich in Anspruch, an denen sie gar nicht beteiligt waren.

Der Brief von Dortmund wirft also erst einmal mehr Fragen auf, als er beantwortet.

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