Süddeutsche Zeitung

Anschlag in Halle:"Sieben Minuten" bis die Polizeifunkstreife eintraf

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Von Barbara Galaktionow

Wenige Tage nach dem Angriff auf eine Synagoge in Halle bezieht das Innenministerium in Sachsen-Anhalt Stellung zu Vorwürfen aus der Jüdischen Gemeinde, wonach die Polizei nicht schnell genug auf Notrufe reagiert habe. "Mein tiefster innerer empfundener Dank gilt meiner, unserer Polizei, ohne Wenn und Aber", sagte Landesinnenminister Holger Stahlknecht (CDU) in Magdeburg.

Die zuständige Referatsleiterin Christiane Bergmann listete minutiös den Verlauf von eingehenden Notrufen, Funkverkehr und polizeilichem Handeln auf, um zu zeigen, dass die Polizei nicht lax auf die Lage reagiert habe. Nachdem die Polizei Kenntnis über eine Gefahrenlage an der Synagoge erhalten habe, habe es" sieben Minuten" gedauert bis der erste Funkstreifenwagen am Tatort eingetroffen sei, sagte Bergmann, acht, bis der zweite ankam.

Auch dass ein Polizeiwagen, der den Täter auf seiner Flucht mit einem Mietfahrzeug verfolgte, diesen verlor, so dass dieser noch fast eine Stunde angeschossen und mit platten Reifen unterwegs war, "würde ich nicht als Panne bezeichnen", sagte Bergmann unter Verweis auf "diverse Fahrtwege" in einer Stadt wie Halle. In der Spitze seien an diesem Tag 740 Polizeibeamte im Einsatz gewesen. Es habe insgesamt Anrufe zu 23 Einsatzorten gegeben. "Diese Notrufe ließen sich nicht alle verifizieren."

Innenminister Stahlknecht sagte, der Anschlag in der vergangenen Woche stelle "eine Zäsur dar", nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern in der gesamten Bundesrepublik. Mit den Vorstehern der jüdischen Gemeinde wolle man nun so schnell wie möglich ins Gespräch kommen. Am kommenden Freitag werde auf der Innenministerkonferenz über die "Sicherheitsarchitektur" geredet.

Stahlknecht selbst will mit einem Zehn-Punkte-Maßnahmenpaket auf den antisemitisch motivierten Anschlag reagieren. Es reicht von der personellen Aufstockung des Verfassungsschutzes über die kurz- und langfristige Schaffung von mehr Polizeieinsatzkräften und Wachpersonal bis hin zur Einrichtung der zentralen Stelle eines Landesopferbeauftragten. Stahlknecht forderte, dass im Kampf gegen den Rechtsextremismus alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden müssten, beispielsweise auch die umstrittene Quellen-TKÜ - eine besondere Telekommunikationsüberwachung, die Kommunikation erfasst, bevor diese verschlüsselt wird oder nachdem diese entschlüsselt wurde. "Ich erwarte, dass die, die jetzt reden, uns auch ausstatten", sagte der Landesminister.

"Hohe abstrakte Gefährdungslage"

Die Sicherheitsmaßnahmen an jüdischen Einrichtungen seien unmittelbar erhöht worden, sagte er, seit Freitag auch die an Moscheen. Zu Vorwürfen aus der Jüdischen Gemeinde, dass die Polizei Bitten um mehr Schutz in der Vergangenheit nicht nachgekommen sei, sagte Stahlknecht, dass man seines Wissens keine Bitte um Schutz ausgeschlagen habe.

Sowohl der Präsident des Zentralrats, Josef Schuster, als auch der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Halle, Max Privorozki, hatten hingegen zuvor kritisiert, der Gemeinde sei erbetener Polizeischutz in der Vergangenheit versagt worden. Zu dieser Diskrepanz in der Darstellung sagte Stahlknecht weiter nur, dass die Gespräche zwischen Gemeindevertretern und der Polizei liefen.

In Deutschland gebe es seit Jahren eine "hohe abstrakte Gefährdungslage", sagte Stahlknecht. Dass bedeute, dass "jederzeit an jedem Ort der Bundesrepublik Deutschland ein Anschlag möglich wäre", nicht nur an Synagogen. Was der Angriff der vergangenen Woche in diesem Zusammenhang bedeute, darüber müsse man nun in Berlin sprechen.

Am vergangenen Mittwoch, dem wichtigsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, hatte ein schwer bewaffneter Mann versucht, in die mit mehr als 50 Gläubigen besetzte Synagoge in Halle zu gelangen. Als das misslang, erschoss er außerhalb des Gotteshauses zwei Menschen. Der 27-jährige Deutsche hat die Tat gestanden und antisemitische und rechtsextreme Motive eingeräumt. Er sitzt in Untersuchungshaft.

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