Süddeutsche Zeitung

Amtsführung:Lügen statt liefern

Lesezeit: 4 min

Von Hubert Wetzel, Washington

Die ersten Anzeichen, dass es schlecht lief für Hillary Clinton, gab es schon früh am Wahlabend. In Florida gewann die Demokratin pflichtgemäß die sicheren Bezirke. Aber eben nicht mehr. Pinellas County zum Beispiel war ein böses Omen: Bei der vorigen Wahl hatten dort die Demokraten gewonnen. Doch jetzt stimmten plötzlich mehr Wähler für den Republikaner Donald Trump.

So ging es weiter am Abend des 8. November 2016. Ohio, Pennsylvania, Michigan, Wisconsin - überall dort, wo es wichtig war, schlug Trump Clinton. Am Morgen des 9. November stand fest: Donald Trump wird der 45. Präsident der USA.

Das ist jetzt ein Jahr her. Und insgesamt ist die große Mehrheit der Amerikaner heute nicht mehr zufrieden mit dem damaligen Wahlausgang - die Clinton-Anhänger ohnehin nicht, aber auch viele Trump-Wähler nicht. Das heißt nicht, dass die republikanischen Wähler nun plötzlich bereuen, für Trump gestimmt zu haben; oder dass sie Trump bei der Wahl 2020 im Stich lassen werden. Aber es heißt, dass sich die meisten Amerikaner entweder wünschen, ihr Präsident wäre jemand anderes; oder der Amtsinhaber würde sich zumindest anders benehmen, als er es tut.

Der Stand in Zahlen: Laut dem aktuellen Durchschnitt der Umfragen, den die Internetseite Real Clear Politics errechnet, sind derzeit 56 Prozent der Amerikaner mit Trumps Arbeit unzufrieden, 39 Prozent sind zufrieden. Trumps persönliche Beliebtheitswerte fallen fast gleich aus - 57 Prozent der Bürger mögen ihn nicht, 39 Prozent mögen ihn. 70 Prozent der Amerikaner sind der Ansicht, so eine Umfrage der Washington Post und der University of Maryland, dass Trumps Regierung nicht funktioniert. Die negative Sicht auf den Präsidenten und dessen Arbeit hat ein ebenso negatives Bild vom Zustand des Landes zur Folge: Sechs von zehn Amerikanern meinen, das Land sei unter Trump "auf dem falschen Weg". Das Vertrauen der Amerikaner in ihre Politiker und der Stolz auf ihre Demokratie sind auf historische Tiefstände gesunken. 70 Prozent der Bürger sind der Meinung, dass Amerikas Gesellschaft so gespalten und zerstritten ist wie seit einem halben Jahrhundert nicht mehr. Und die Mehrheit gibt Trump eine wesentliche Mitschuld daran.

Trump empfindet jede Kritik als Angriff - und schlägt entsprechend zurück

Dem gegenüber steht ein gewachsenes Vertrauen der Bürger in die Stärke der US-Wirtschaft; der Aktienmarkt ist auf einem Rekordhoch und der Arbeitsmarkt solide. Die Amerikaner bewerten ihre ökonomische Lage durchaus optimistisch; ihre politische Lage hingegen sehen sie zappenduster.

Es lässt sich kaum leugnen, dass Trump zu dieser düsteren Stimmung beigetragen hat. Der frühere Immobilienunternehmer aus New York genießt öffentliche Kämpfe, und er führt sie mit aller Härte. Trump neigt dazu, politische Auseinandersetzungen mittels beleidigender oder vulgärer persönlicher Attacken auszutragen. Und er hat ein enormes Ego, was dazu führt, dass er jede Kritik als Angriff empfindet und regelmäßig den Moment verpasst, an dem er sich zurückhalten oder vielleicht sogar einmal entschuldigen sollte. Trump hat auf diese Weise einen rüden Ton in die US-Politik gebracht, den es zuvor so nicht gab. Washington war zwar schon vor Trump kein besonders ziviler Ort. Doch die gegenseitige Abneigung zwischen Demokraten und Republikanern hat im vergangenen Jahr noch einmal zugenommen.

Wobei Trumps Attacken längst nicht nur Demokraten treffen. Der Präsident zieht auch gegen Parteifreunde ins Feld, die er für illoyal oder unfähig hält. Das alte republikanische Parteiestablishment hat er so praktisch mundtot gemacht. Unter Trump ist die Republikanische Partei auf einen nationalistischen und isolationistischen Kurs umgeschwenkt. Allianzen, Handelsabkommen, die Aufnahme von Einwanderern - alles, was politische und wirtschaftliche Verbindungen zwischen Amerika und dem Rest der Welt schafft oder sie verstärkt, ist plötzlich verdächtig.

Manche Aussagen sind leicht als falsch zu entlarven - doch das scheint ihn nicht zu stören

Die tatsächlichen Regierungserfolge von Trump nehmen sich im Vergleich dazu bescheiden aus. Bisher hat er kaum wichtige Gesetze durch den Kongress gebracht, von seinen großen Wahlversprechen hat er noch keines erfüllt - mit Ausnahme des Ausstieges aus dem Pariser Klimaabkommen. Weder hat der angekündigte Bau der Mauer an der Grenze zu Mexiko begonnen, noch wurde die Gesundheitsreform des früheren Präsidenten Barack Obama abgeschafft (oder gar, wie angekündigt, durch etwas "Wunderbares" ersetzt). Auf die geplante Steuersenkung warten die Amerikaner ebenfalls noch. Statt dessen hat Trump mit neuen Visa- und Immigrationsbestimmungen ein Klima der Angst unter Millionen Einwanderern geschaffen. Sie wissen nicht, ob ihre Verwandten sie noch besuchen können - oder ob Trump sie nicht irgendwann aus dem Land werfen lässt.

Der vielleicht zerstörerischste Beitrag Trumps zur politischen Kultur der USA ist jedoch die Normalisierung der Lüge. Der Präsident ist ein notorischer Lügner, und es scheint ihn überhaupt nicht zu kümmern, dass viele seiner Unwahrheiten leicht als solche entlarvt werden können. Manchmal lügt er, weil die Wahrheit seine Eitelkeit verletzt, etwa als weniger Zuschauer zu seiner Amtseinführung kamen als einst zu Obamas. Manchmal lügt Trump auch, weil er die Wahrheit schlicht nicht kennt oder kennen will. So behauptete er über Obamas Gesundheitsreform, dass sie nur "sehr wenigen Leuten", die bisher nicht versorgt waren, eine Krankenversicherung verschafft habe. Tatsächlich waren es 20 Millionen.

Die gefährlichste Lüge, die Trump verbreitet, ist allerdings die, dass alle, die ihm nicht huldigen, keine echten Amerikaner seien. Kritiker als unpatriotisch zu brandmarken, ist ein altbekannter Trick von Autokraten. Gerade deswegen haben Amerikas Gründerväter es einst zur Pflicht jedes echten Patrioten erklärt, die eigene Regierung mit Skepsis zu betrachten. Trump redet hingegen einem unkritischen, engstirnigen, kitschigen - und überwiegend weißen - Patriotismus das Wort, der keinen Widerspruch gegen den Präsidenten duldet, weil der die Wahl gewonnen hat und deswegen angeblich für "das Volk" spricht.

Das spaltet Amerika. Viele echte Patrioten beten, dass es ihr Land nicht zerreißt.

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SZ vom 08.11.2017
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