Süddeutsche Zeitung

Alternative für Deutschland:Vom Flügel getragen

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Der neue AfD-Chef Tino Chrupalla gilt als gemäßigt, doch die Stichwahl gewinnt er nur dank der Unterstützung von Björn Höckes Rechten. Dessen Lager mischt auch bei anderen Personalien kräftig mit.

Von Jens Schneider, Braunschweig

Es herrschte eine gehörige Nervosität auf den Gängen der Volkswagenhalle. Diese Wahl war den Granden der AfD wichtig. Alexander Gauland appellierte zum Auftakt des Parteitags an die fast 600 Delegierten: Der Parteitag solle ein Meilenstein sein, die Partei könne erwachsen werden. Man wusste, was gemeint war. Aber der 78-jährige Vorsitzende der Bundestagsfraktion war sich nicht sicher, dass sein Plan aufgehen würde. Er ließ sich eine Hintertür offen. Vielleicht würde er wieder eingreifen müssen und sich doch noch einmal zur Wahl stellen - so wie zuletzt vor zwei Jahren, als er sich eigentlich schon zurückziehen wollte.

Alles sei offen, es könne wieder mal Chaos ausbrechen in der Partei, wie so oft in der Vergangenheit auf ihren Parteitagen. So war es aus dem Umfeld der bisherigen Parteispitze zu hören. Gelassen klangen dagegen schon am Samstagmittag Vertreter des rechten "Flügels" von Björn Höcke: Ach, es werde schon alles glattgehen. Höckes Leute wussten, was kommen sollte. Auch sie hatten ihren Plan.

Tino Chrupalla stand auf ihrer Liste, obwohl er nicht Mitglied ihres "Flügels" ist.

Einer aus dem Osten sollte nun der AfD vorstehen, so hatte Höcke es schon vor Wochen nach den Erfolgen der Partei bei den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen eingefordert. So stand der 44-jährige Malermeister aus dem Landkreis Görlitz also vor den Delegierten und bot sich an als Pendant des ersten Vorsitzenden Jörg Meuthen. Das wäre doch ideal, warb Chrupalla für das Tandem: einer aus dem Osten und einer aus dem Westen, ein Handwerker und ein Akademiker. Er erzählte, wie er 2017 dem heutigen Ministerpräsidenten von Sachsen, dem Christdemokraten Michael Kretschmer, das Direktmandat für den Bundestag in Görlitz abgenommen hatte. Dort löste Chrupalla zuletzt Empörung aus, als er zum Jahrestag des Mauerfalls die Kanzlerin in seiner Rede beleidigte und ihr unterstellte, sie habe von der Stasi Zersetzungsmethoden gelernt. In Braunschweig setzte er auf Mäßigung: "Die bürgerliche Mitte erreichen wir mit Vernunft", sagte er. "Nur mit überzeugenden Inhalten werden wir neue Wählerschichten erschließen. Mit drastischer Sprache bewirkt man häufig das Gegenteil - besonders bei den Frauen."

Wer wollte, konnte das als Versuch sehen, sich von seinem Gegenkandidaten abzugrenzen. Gottfried Curio, der innenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, hatte sich vor einer Woche überraschend für das Spitzenamt beworben. Er wolle für alle sprechen, die in der Mitte stünden und nicht auf Seilschaften setzten, kündigte er vorher an. Er ist aus dem Bundestag als Scharfmacher bekannt. Auch in Braunschweig attackierte er die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung scharf.

Aber sein von vielen Parteifreunden gerühmtes rhetorisches Talent verpuffte. Curio konnte einen zweiten Wahlgang erzwingen. Dann aber wurde Chrupalla gewählt, er erreichte 55 Prozent der Stimmen. Curio unterlag mit 41 Prozent. Es sollte nicht die einzige Wahl an diesem Abend bleiben, bei der Höckes "Flügel" seinen Einfluss zeigte. Für die Posten als Partei-Vize kandidierten einige AfD-Politiker, die im Spektrum der rechten Partei als gemäßigt gelten. Doch der Fraktionschef der AfD in Rheinland-Pfalz, Uwe Junge, scheiterte ebenso wie der Berliner AfD-Chef Georg Pazderski. Beide hatten im Spätsommer Höcke öffentlich attackiert, und der kündigte vor dem Parteitag an, dass sein Flügel jene nicht unterstützen würde, "die in den letzten Jahren durch Wort und Tat ihre fehlende Integrationskraft bewiesen haben". Höcke freute sich, dass stattdessen der Thüringer Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner gewählt wurde, der erst vor Kurzem wegen seiner Rüpeleien auf Twitter als Vorsitzender des Rechtsausschusses im Bundestag abgesetzt wurde.

Dass Höcke Gegner hat, zeigte sich, als ein Delegierter ihn als Kandidaten für den Vorstand vorschlug, "damit er sich eine Klatsche abholt". Höcke verzichtete. Als Beisitzer gewählt wurde erneut sein Weggefährte Andreas Kalbitz, der als wichtigster Strippenzieher des "Flügels" gilt.

Chrupalla und der als Parteichef wiedergewählte Meuthen, der nun seit 2015 die AfD führt, kündigten an, die Partei professionalisieren zu wollen. Die AfD sei auf dem Weg zu einer ernst zu nehmenden politischen Kraft in Deutschland, so Chrupalla. Meuthen nannte eine Regierungsbeteiligung das Ziel der AfD. "Es läuft alles auf uns zu", sagte er.

Zum Abschluss wählte der Parteitag Gauland zum Ehrenvorsitzenden. Er führt zudem weiter gemeinsam mit Alice Weidel die Bundestagsfraktion der AfD. "Wenn die Partei irgendwann in eine falsche Richtung gehen sollte, dann werde ich das sagen", kündigte er an. Dies werde er aber nicht öffentlich, sondern unter vier Augen tun: "Ich bin immer noch dabei."

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SZ vom 02.12.2019
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