Süddeutsche Zeitung

Afghanistan: Interview zur Kundus-Affäre:"Die Fehleinschätzung lag im Kanzleramt"

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Der ehemalige UN-Sonderbeauftragte in Afghanistan, Tom Koenigs, attackiert Merkel: Sie habe jegliche Diskussion im Wahlkampf vermieden.

B. Vorsamer

sueddeutsche.de: Das Bombardement vom 4. September nahe des afghanischen Kundus hat - wie wir nun wissen - nicht den Tanklastzügen, sondern einer Gruppe Taliban-Kämpfern gegolten. Ist ein derartiger Einsatz noch vom Isaf-Mandat gedeckt?

Tom Koenigs: Der Vorgang war weder angemessen - nach welchem Mandat auch immer - noch war er militärisch geboten. Ich würde darüber hinaus auch sagen, der Angriff widersprach der geltenden Befehlslage. Es ist bedauerlich, dass ausgerechnet die Deutschen dieses Verstoßes schuldig sind.

sueddeutsche.de: Wieso "ausgerechnet die Deutschen"?

Koenigs: Deutschland hat darauf hingearbeitet, dass das Mandat sich von dem Ziel, Taliban zu bekämpfen, löst und mehr in Richtung Schutz der Zivilbevölkerung geht. Diese Änderung der Zielsetzung betraf nicht nur die Isaf, sondern auch die Operation Enduring Freedom. Von Stanley McChrystal, dem neuen Isaf-Kommandeur unter US-Präsident Barack Obama, ist dies auch als neue Strategie verkündet worden. Und dann sind es die Deutschen, die als Erste gegen die neue Strategie verstoßen.

sueddeutsche.de: Es gibt Forderungen, dass das Mandat anders ausgestaltet werden muss. Ist das berechtigt?

Koenigs: Nur weil das Mandat die Angriffe von Kundus nicht deckt, braucht man kein neues. Erst einmal muss man sich an das bestehende Mandat halten.

sueddeutsche.de: Ist es überhaupt realistisch, dass die deutschen Truppen Aufbauhilfe leisten ohne präventiv gegen Aufständische vorzugehen?

Koenigs: Natürlich ist das trennbar. Fragen Sie doch bei diesem Einsatz: Welche Zivilbevölkerung hat man geschützt? Antwort: Keine. Drohte ein Angriff? Nein. Die Tanklastwagen steckten im Kundus-Fluss fest, es ging keine Bedrohung von ihnen aus. Wie viele Taliban hat man außer Gefecht gesetzt? Da wird stolz von 40, 50 gesprochen. Entscheidend ist aber die Frage nach den toten Zivilisten und der Verhältnismäßigkeit der Mittel.

sueddeutsche.de: Inwiefern ist Verteidigungsminister Guttenberg verantwortlich?

Koenigs: Für den Vorgang an sich ist er nicht zur Rechenschaft zu ziehen. Aber er ist verantwortlich für die Interpretation des Angriffs als "angemessen" und "militärisch geboten". Dass der Angriff angemessen war, hat er inzwischen zurückgenommen. Das andere noch nicht.

sueddeutsche.de: Die Diskussion dreht sich zur Zeit sehr viel um die Frage, wer wann was wusste. Ist Guttenbergs Darstellung plausibel, dass er von Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert falsch beziehungsweise zu spät informiert wurde?

Koenigs: Da gibt es jetzt unterschiedliche Versionen. Wichert und Schneiderhahn waren äußerst erfahren und kompetent, ich kenne sie beide als solide und verantwortungsbewusste Menschen. Ich glaube, dass die Fehleinschätzung im Kanzleramt lag.

sueddeutsche.de: Wie kommen Sie darauf?

Koenigs: Angela Merkel hat in ihrer Regierungserklärung die Bewertungen des Berichts rundheraus zurückgewiesen, während die Regierungschefs anderer Staaten die Kritik bereits aufgenommen hatten.

sueddeutsche.de: Manche vermuten, dass die Bundesregierung bereits kurz nach dem Anschlag ziemlich gut Bescheid wusste, sich aber eine Diskussion über den Afghanistan-Einsatz im Bundestagswahlkampf ersparen wollte.

Koenigs: Man spürt die Absicht und man ist verstimmt. Die genauen Details, wer wann worüber informiert wurde, muss ab Mittwoch der Untersuchungsausschuss herausfinden.

sueddeutsche.de: Was muss der Ausschuss noch klären?

Koenigs: Ich will wissen, warum die beiden besten obersten Soldaten gefeuert worden sind. Und ich will wissen, warum Befehle nicht befolgt worden sind. Dann wird man klären müssen, ob diese Befehle innerhalb des Mandats oder außerhalb des Mandats nicht befolgt worden sind. Und schließlich muss man sich überlegen, was eigentlich die politische Richtung des Mandats sein muss - und wie es formuliert sein muss, damit es jeder Soldat begreift und befolgt.

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