Süddeutsche Zeitung

Alternative für Deutschland:Wie Chemnitz die Sicht des Verfassungsschutzes auf die AfD änderte

Lesezeit: 3 min

Von Georg Mascolo und Ronen Steinke, Berlin

Beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Köln ist gerade eine lang erwartete Lieferung eingegangen. Absender: der Verfassungsschutz von Sachsen. Es ist eine brisante Sammlung an Informationen über die sächsische AfD. Aufgelistet werden Kontakte von sächsischen AfD-Leuten in die Neonazi-Szene, auch um Beziehungen zur neurechten Identitären Bewegung geht es, die in Sachsen immer wieder mit spektakulären Aktionen auf sich aufmerksam macht, etwa mit dem Entrollen eines Banners auf dem Dach des Dresdner Hauptbahnhofs.

Seit Monaten sammelt das BfV solche AfD-Analysen aus allen Bundesländern ein. Erst jetzt hat auch Sachsen nach Informationen der Süddeutschen Zeitung seinen Teil geliefert. Bislang hatte sich ausgerechnet Sachsen hartnäckig geweigert. Es ist das letzte große Puzzleteil, das noch gefehlt hat. Die sächsische AfD ist der politisch stärkste Landesverband der gesamten Partei, bei der Landtagswahl im kommenden September wird die Partei voraussichtlich mit der CDU um Platz eins konkurrieren.

Nun kann beim BfV die Auswertung beginnen. Sachsens Verfassungsschützer beleuchten zwar weiter nicht die Kontakte von AfD-Leuten zu Pegida. Denn Pegida wird in Sachsen nicht als extremistisch beobachtet. Aber bei den ausländerfeindlichen Protesten in Chemnitz Ende August und Anfang September waren sächsische AfD-Funktionäre Seite an Seite mit Vertretern der rechtsextremen Szene aufgetreten, auch hatte es eine gemeinsame Mobilisierung gegeben. Das hat man in Sachsen offenbar sehr genau analysiert.

Sachsens Erklärung für das späte Einlenken fällt so aus: Chemnitz habe die Sicht auf die Dinge verändert, vorher hätten sowohl die Juristen im Dresdner Innenministerium als auch beim sächsischen Verfassungsschutz "erhebliche Bedenken" geäußert. Bereits die Sammlung von Erkenntnissen über die AfD, auch ohne Überwachungsmethoden, komme einer Stigmatisierung gleich, also einem Eingriff in den politischen Wettbewerb. Sachsens Zulieferung an das BfV ist für das Gesamtbild von großer Bedeutung, denn beim Verfassungsschutz spricht man von einem West-Ost-Gefälle der Radikalität. So gilt der Landesverband der AfD in Nordrhein-Westfalen bis auf Ausnahmen als moderat. Er gilt nicht einmal als Kandidat für eine Überprüfung durch den Verfassungsschutz, schon gar nicht für eine Beobachtung.

Vor allem zwei Untergruppen sind es, die der Partei zum Verhängnis werden könnten

Eine Arbeitsgruppe aus 17 Politologen und Juristen ist jetzt beim BfV auf das Thema AfD angesetzt, vorgestellt wurde sie bei einem geheimen Treffen von Verfassungsschützern Ende der vergangenen Woche. Erwartet wird eine juristische, aber auch eine politische Diskussion, ob es eine gute Idee ist, eine Partei dieser politischen Stärke zu beobachten. Unter dem neuen Präsidenten Thomas Haldenwang sollen die Experten bis Weihnachten oder spätestens Januar eine Auswertung liefern. Vor allem auf zwei Untergruppen der AfD scheinen ihre Diskussion dabei zuzulaufen.

Zum einen ist da die Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA), die vielerorts als besonders radikal gilt. Bremen und Niedersachsen haben kürzlich schon begonnen, die JA lokal zu beobachten, in der 20-seitigen Stoffsammlung Niedersachsens für das BfV heißt es: "Die Verbreitung von geschichtsrevisionistischen und -relativierenden Äußerungen wie auch von verschwörungstheoretischen Inhalten deutet auf eine geistige Nähe zu klassischen rechtsextremistischen Argumentationsmustern und -strategien hin." Vor allem die Nähe der JA zur Identitären Bewegung ist bedeutsam. Wobei sich hier aber auch eine Debatte einiger Landesämter mit dem BfV andeutet. Dieses nämlich hat beim Treffen in der vergangenen Woche Skepsis erkennen lassen, ob man die "ethnopluralistische" Ideologie der Identitären so ohne Weiteres extremistisch nennen könne.

Zum anderen geht es um die Patriotische Plattform (PP). Insbesondere der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen empfiehlt ihre Beobachtung. Die PP ist offiziell nicht Teil der AfD. Man kann ihr aber nur beitreten, wenn man Mitglied der Partei ist. Es lägen "gewichtige Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Bestrebung vor", heißt es in einer Einschätzung der Nordrhein-Westfalen, zitiert wird ein ehemaliges Vorstandsmitglied der PP: "Von der NPD unterscheiden wir uns vornehmlich durch unser bürgerliches Unterstützerumfeld, nicht so sehr durch Inhalte."

Mit Interesse wird auch beobachtet, wie die AfD nun auf die drohende Beobachtung reagiert. Mancher im Verfassungsschutz hofft, dass die Partei sich nun selbst bemüht, Extremisten aus ihren Reihen zu vertreiben. Andere warnen vor dieser These: Selbst wenn etwa, wie zuletzt bei der JA geschehen, einzelne Landesverbände aufgelöst würden, blieben die radikalen Mitglieder doch in der Partei. Im Verfassungsschutz kritisieren viele, dass man nicht schon viel früher auf das Erstarken der neuen Rechten geschaut habe, vor allem dem Bund wird hier Zögerlichkeit vorgeworfen.

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Quelle:
SZ vom 14.11.2018
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