Süddeutsche Zeitung

Urteil zur AfD-Landesliste in Sachsen:Das Narrativ der Ungleichbehandlung wankt

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Von Ulrike Nimz, Leipzig

Es ist fast so etwas wie eine salomonische Entscheidung, die der sächsische Verfassungsgerichtshof am Donnerstagabend in Leipzig getroffen hat: Die AfD darf nun vorläufig doch mit 30 statt mit 18 Kandidaten zur Landtagswahl am 1. September antreten. Damit korrigierte das Gericht den Landeswahlausschuss, der am 5. Juli in Kamenz nur einen Teil der ursprünglich 61-köpfigen Landesliste der Partei zugelassen hatte - wegen angeblicher Verfahrensfehler.

Im Februar hatte die sächsische AfD auf einem ersten Listenparteitag in Markneukirchen unter teils chaotischen Bedingungen die Bewerber für die ersten 18 Plätze gewählt. Die restlichen Kandidaten wurden im März bestimmt - mit neuen Versammlungsleitern, Vertrauenspersonen und ab Listenplatz 31 nicht mehr in Einzelabstimmung, sondern aus Zeitgründen im Blockwahlverfahren. Der Landeswahlausschuss hatte moniert, dass die Liste nicht in einer einheitlichen Versammlung aufgestellt worden sei. Durch den Wechsel des Wahlverfahrens sei zudem die Chancengleichheit der Kandidaten beeinträchtigt gewesen.

Die AfD entschied sich daraufhin für Angriff statt Selbstkritik, organisierte spontan eine Pressekonferenz, präsentierte ein eigenes Rechtsgutachten, legte sowohl beim Bundesverfassungsgericht als auch in Leipzig Verfassungsbeschwerde ein, forderte per Eilantrag die vorläufige Zulassung aller Kandidaten. In Karlsruhe war die Partei bereits am Mittwoch gescheitert. Der eingereichte Antrag sei nicht ausreichend begründet, zudem fehlten wichtige Unterlagen. Auch werde der Schutz des Wahlrechts bei Landtagswahlen grundsätzlich durch die Länder gewährt, so das Bundesverfassungsgericht.

Während der mehrstündigen Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof in Leipzig verteidigte Landeswahlleiterin Carolin Schreck ihre Entscheidung, die AfD-Landesliste zu kürzen, geriet jedoch zunehmend in die Defensive. AfD-Vertreter warfen Schreck Voreingenommenheit vor, bezeichneten den Wahlausschuss als "Laiengremium". Michael Elicker, Prozessbevollmächtigter der Partei, war es schließlich, der Drohungen gegen die Landeswahlleiterin und die Tatsache, dass Sitzungen der Behörde seit der umstrittenen Listenkürzung unter Polizeischutz stattfinden, für eigene Zwecke nutzen wollte. Das Gericht müsse auch deshalb zu einer Entscheidung finden, um den Frieden im Land zu wahren, sagte Elicker, nur um kurz darauf zurückzurudern: Natürlich dürfe mögliche Gewalt niemals ein Maßstab sein.

Vereinzelt gab es Beifall von den voll besetzten Zuschauerbänken in Saal 115. Die Vorsitzende Richterin Birgit Munz unterband das sofort: "Wir sind hier nicht auf einer Parteiveranstaltung." Am Ende entschied das Gericht, dass die im Block gewählten Plätze 31 bis 61 gestrichen bleiben. Die Richter sahen bei dieser Einschätzung des Landeswahlausschusses keinen so gravierenden Fehler, als dass sie vor der Wahl eingreifen müssten. Eine Notwendigkeit, die Listenaufstellung in einer einzelnen Veranstaltung zu realisieren, sah das Gericht hingegen nicht. Für die AfD ist die Entscheidung Erfolg und Dämpfer zugleich. Zwar ist das Risiko unbesetzter Landtagsmandate nun kleiner, aber der Wahlkampf ausgebremst. Die Kürzung der Liste wirkte wenige Wochen vor der Landtagswahl wie ein Katalysator, ermöglichte die Verknappung politischer Inhalte auf ein Narrativ, das im Osten zur DNA der Partei gehört: Wir gegen das System. Beim Wahlkampfauftakt am 14. Juli waren die neuen Plakate schon gedruckt: "Jetzt erst recht" stand auf den Pappen im Lommatzscher Schützenhaus.

Entsprechend widersprüchlich waren die Reaktionen nach Verkündung des Urteils. Hatte Landeschef Jörg Urban zunächst von einem Erfolg für die AfD und die Demokratie gesprochen, teilte die Partei später mit, man sei nicht zufrieden. "Es kann und darf uns nicht vorgeschrieben werden, 61 Listenkandidaten in einem Einzelwahlverfahren zu wählen", hieß es in einer Erklärung. "Der AfD wird verboten, was anderen Parteien erlaubt ist." Man werde "die Sache juristisch und politisch weiterverfolgen". Die Partei braucht den Furor, die angebliche Ungleichbehandlung, um weiter zu mobilisieren.

Dass sich der Verfassungsgerichtshof der Sache angenommen hat, ist ein Novum. Das sächsische Wahlprüfungsgesetz sieht rechtliche Schritte nur nach der Wahl vor. Das Gericht hingegen sah einen "besonderen Ausnahmefall", da aufgrund eines möglichen "Wahlfehlers von außerordentlichem Gewicht" Neuwahlen gedroht hätten. Auch deshalb häufen sich nun Stimmen, die eine Wahlrechtsreform in Sachsen fordern. Eine abschließende Bewertung wollen die Richter am 16. August vornehmen. Dann soll auch geklärt werden, ob Grundrechte der AfD-Kandidaten verletzt wurden.

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SZ vom 27.07.2019
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