Süddeutsche Zeitung

Streit um Paragraf 219a:Eine Frage des Gewissens

Lesezeit: 2 min

Von Kristiana Ludwig und Mike Szymanski, Berlin

Der Streit um das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche wird zum ersten Testfall für die Zusammenarbeit in der großen Koalition mit Annegret Kramp-Karrenbauer als neuer CDU-Chefin. Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles steht bei ihrer Partei im Wort, noch vor Weihnachten eine Lösung für Paragraf 219a im Strafgesetzbuch zu präsentieren. Dieser untersagt das "Anbieten, Ankündigen oder Anpreisen" von Abtreibungen und soll verhindern, diese als normale ärztliche Leistungen darzustellen und zu kommerzialisieren. Große Teile in der SPD sind für das ersatzlose Streichen.

Nach ihrer Wahl zur neuen CDU-Chefin machte Kramp-Karrenbauer deutlich, dass sie keine Abschaffung des Werbeverbots mitmachen wolle. Das Thema ist mittlerweile emotional enorm aufgeladen. Den konservativeren Kreisen in der Union gilt die Debatte als Gelegenheit, wieder stärker Profil zu zeigen. Im Bundestag hätte die SPD mit Stimmen der Opposition längst eine Mehrheit, die Streichung durchzusetzen.

Bereits Ende vergangenen Jahres hatten auch Linke und Grüne einen Gesetzentwurf eingebracht, um den umstrittenen Paragrafen aufzuheben. Die FDP plädierte zwar bisher für eine moderate Änderung des Straftatbestandes. Sollte dieser Vorschlag aber - wie zu erwarten - keine Mehrheit finden, würde auch ein Großteil der liberalen Abgeordneten für das Ende des Paragrafen 219a stimmen, sagt der FDP-Rechtspolitiker Stephan Thomae.

Weil die SPD jedoch mit einer solchen Abstimmung ihren Koalitionspartner brüskieren und das Bündnis aufs Spiel setzen würde, verzichtete sie bislang auf eine entsprechende Gewissensentscheidung. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte der Fraktion im Frühling einen Kompromiss versprochen. Wie so eine Einigung aussehen könnte, ließ sie aber offen.

Seitdem arbeitet Justizministerin Katarina Barley (SPD) gemeinsam mit Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Innenminister Horst Seehofer (CSU), Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) und Familienministerin Franziska Giffey (SPD) an einer Veränderung des Werbeverbots. Die SPD hatte der Union allerdings ein Ultimatum gesetzt, bis zum Herbst eine Lösung zu finden. Dann kam die Wahl um den CDU-Vorsitz dazwischen.

Ein Schnellverfahren käme einem Koalitionsbruch gleich

Die SPD ist nun mit ihrer Geduld am Ende. Zunächst hatten zwölf Neu-Parlamentarier mit einem Vorstoß Druck gemacht, die Streichung des Paragrafen 219a gegen den Willen des Koalitionspartners durchzusetzen. Der SPD-Abgeordnete Florian Post stellte am Wochenende Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles sogar ein Ultimatum: Bis Dienstag wolle er eine Einigung mit der Union sehen. Auch der frühere SPD-Chef Martin Schulz plädierte dafür, die Frage ohne Fraktionsdisziplin abzustimmen.

Weil alle Gesetzentwürfe bereits vorliegen, könnten sie tatsächlich schnell zur Abstimmung kommen - ähnlich wie es kurz vor der Bundestagswahl 2017 mit der Ehe für alle geschah. So ein Schnellverfahren käme jedoch einem Koalitionsbruch gleich. Im Augenblick ringen Union und SPD deshalb gleich auf mehreren Ebenen miteinander. Kramp-Karrenbauer und Nahles führten am Sonntagabend ihr erstes längeres Gespräch seit dem Wechsel an der CDU-Spitze. "Wir sind da in gutem Austausch, aber wir sind auch noch nicht am Ende unserer Diskussion", sagte Kramp-Karrenbauer nach dem Telefonat mit Nahles in der ARD. Sie bekräftigte, sie sei gegen eine Streichung des Paragrafen 219a: Sie warte jetzt auf den Kompromiss der Ministerrunde um Katarina Barley: "Wenn dieser Vorschlag auf dem Tisch liegt, werden wir das bewerten."

Aus Barleys Justizministerium heißt es, man führe derzeit noch Gespräche. Union und SPD hatten für diese Woche einen Termin für den Koalitionsausschuss vorgesehen. Das Treffen soll aber nicht gleich mit einem Konfliktthema beladen werden. Es soll nun im Januar stattfinden.

SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch zeigte sich zuversichtlich, dass es bald eine gemeinsame Position gebe, "mit der alle leben können". Miersch sagt, ihm sei es wichtig, dass sich Fälle wie der der Ärztin Kristina Hänel nicht wiederholen. Die Medizinerin war 2017 wegen des Verstoßes gegen den Paragrafen 219a verurteilt worden. Ihr Fall hatte die hitzige Debatte ausgelöst.

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Quelle:
SZ vom 11.12.2018
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