Süddeutsche Zeitung

Abdullah Öcalan:Friedensbotschaft aus dem Gefängnis

Lesezeit: 3 min

Von Mike Szymanski, Diyarbakır

Dunkle Rauchschwaden steigen am Stadtrand von Diyarbakır auf. Aber nein, man muss jetzt nicht beunruhigt sein, sagt Çiğdem. Die 20-jährige Studentin ist mit ihren Freunden auf dieses große, weite Feld gekommen, um zu feiern. Nicht weit von ihr brennt es, eine Art gigantische Fackel. "Es ist das Feuer der Kurden", sagt Çiğdem. Es könne gar nicht groß genug sein.

Es ist der 21. März. Die Kurden feiern an diesem Tag ihr Neujahrsfest, Newroz. In Diyarbakır, im kurdisch geprägten Südosten der Türkei, ist die ganze Stadt seit den Morgenstunden auf den Beinen. Hunderttausende sind unterwegs. Und Diyarbakır hat sich herausgeputzt, die Stadt leuchtet in Rot, Grün und Gelb. Das sind die Farben der Kurden. Die Studentin und ihre Freunde tragen sie als geflochtenes Stirnband unter dem langen, schwarzen Haar. Wer den Blick einmal schweifen lässt, schaut auf ein buntes Fahnenmeer. Die Worte der Bürgermeisterin von Diyarbakır, Gültan Kışanak, kommen einem in den Sinn. Als sie sich mit ihrer Gefolgschaft in einem Reisebus hierher fahren ließ, da sagte sie: "Wir erwarten keine große Überraschung. Das ist der Tag, an dem die Kurden zeigen, wer sie sind. Es geht um ihre Identität."

Öcalans Botschaft weckt und enttäuscht Hoffnungen gleichermaßen

Aber es geht um noch viel mehr, gerade bei diesem Newroz-Fest. Seit mehr als 30 Jahren kämpfen Kurden und türkischer Staat gegeneinander - in vielen Jahren geschah das unerbittlich. Der Konflikt hat 40 000 Menschen das Leben gekostet, Trauer und Leid über ein ganzes Land gebracht. Die Menschen in der Türkei sehnen sich nach einem Miteinander in Frieden. Der inhaftierte Führer der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, Abdullah Öcalan, hat für diesen Samstag eine Erklärung angekündigt. Tagelang wurde spekuliert, ob er sich sogar per Videobotschaft an seine Anhänger wenden würde.

Aber soweit kommt es nicht. Gegen Mittag betreten zwei Politiker der HDP, dem parlamentarischen Arm der Kurden, die gigantische Bühne, die größenmäßig auch Popstars zufriedenstimmen würde. Es sind Pervin Buldan, Fraktionsvizechefin, und Sırrı Sürreya Önder, sie sind Unterhändler zwischen türkischer Regierung und dem auf der Gefängnisinsel Imralı inhaftierten Öcalan. Sie tragen vor Hunderttausenden einen Brief Öcalans vor - zuerst auf Kurdisch, dann für Türkisch. Was sie sagen, weckt und enttäuscht Hoffnungen gleichermaßen.

Nein, Öcalan ruft seine Anhänger nicht dazu auf, mit diesem Tag die Waffen niederzulegen. Das wäre ein historischer Schritt gewesen. Regierungschef Ahmet Davutoğlu hatte dies verlangt. Trotzdem legt Öcalan einen Schalter um: Er sagt, es sei an der Zeit, die "gnadenlose" und "zerstörerische" Geschichte zu beenden und eine Ära des "Friedens und der Brüderlichkeit und der Demokratie" zu beginnen. "Der Kampf unserer Bewegung war voller Schmerzen. Er war nicht umsonst, aber er hat einen Punkt erreicht, an dem man ihn so nicht fortsetzen kann." Es müsse eine demokratische Lösung her.

Verhandeln statt kämpfen. Im Februar hatte sich Öcalan schon einmal ähnlich geäußert. Im Istanbuler Dolmabahçe-Palast wurde in Anwesenheit eines Regierungsvertreters ein Statement von Öcalan vorgetragen. Eine Sensation für sich. Seither ist wieder Bewegung in den Friedensprozess gekommen, der 2012 von Ankara aus begonnen wurde, seither aber keine wirklich großen Fortschritte gemacht hatte.

Der Frieden ist brüchig. Nun sollen die Kurden bei einem Kongress im Frühjahr beschließen, die Waffen niederzulegen. Öcalan sagt, das Treffen solle "eine gesellschaftliche und politische Strategie" festlegen. Es gehe um eine "neue Ära" im Verhältnis der Kurden zu den Türken. Noch ist sie ein Versprechen.

Wer sich in Diyarbakır beim Newroz-Fest umhört, bekommt zu spüren, wie groß der Wunsch nach Frieden ist. "Wir warten schon so lange", sagen ein paar Studenten, die sich um ein kleines Feuer versammelt haben. Jetzt sei die türkische Seite dran. Frieden könne es nur dann geben, wenn beide Seiten sich bewegten.

Die AKP-Regierung tut sich schwer. Ihr sitzen die Nationalisten im Nacken. Die konservativ-islamische Regierung fürchtet, ihr könnten Wähler davonlaufen. Die Nationalisten sind nicht bereit, den Kurden mehr Rechte und Freiheiten zu geben. Schon gar nicht in der Verfassung verbürgt, wie die Kurden verlangen. Im Juni wird in der Türkei gewählt. Jeder Schritt bis dahin ist auch Taktik.

Zuletzt sorgte eine Äußerung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan für Irritationen. Er sagte, es gebe überhaupt kein Kurdenproblem. In Diyarbakır kommt das nicht gut an. "Wir trauen der Regierung nicht", heißt es dort bei den Leuten. Im Moment will keine Seite zu große Zugeständnisse machen. Die Zeit des Friedens wird - wenn überhaupt - erst nach den Wahlen anbrechen können.

In Diyarbakır haken sich die Kurden unter und tanzen. Das ist ihr Tag.

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