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Winterchaos: Streusalz wird knapp:Reichst du mir mal das Salz?

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Kein Salz im Wintermärchen: Tief Daisy steht schneegewaltig und bitterkalt vor der Tür und vielen deutschen Gemeinden geht das Streusalz aus. Doch wer ist schuld am Desaster?

Dominik Stawski

Heinz van Gemmeren hat nicht viel Zeit am Telefon. "Die Fahndung nach Salz ist stressig", sagt er. Van Gemmeren ist kaufmännischer Leiter der Wirtschaftsbetriebe in Oberhausen, und er hat ein Problem, so wie viele seiner Kollegen in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Den Kommunen ist das Streusalz ausgegangen - mitten im schwersten Winter seit Jahren.

Während viele Länder in Europa mit Schneemassen und Minustemperaturen kämpfen, Flughäfen und Zugverbindungen lahmgelegt werden und in Norwegen minus 41 Grad gemessen wurden, ist in Deutschland ein merkwürdiger Streit entbrannt: Städte und Gemeinden kämpfen gegen Salzhersteller.

Aus Partnern wurden Gegner. Es geht um die Frage, wer schuld ist an dem Salzdesaster.

Salz-Fahndung in ganz Europa

Für Heinz van Gemmeren ist die Sache ganz einfach: Schon seit dem 30. Dezember sei der Salzlieferant im Verzug, dabei sei im Vertrag eine Lieferfrist von 48 Stunden vereinbart. Im Lager hätte man nur 450 Tonnen auf Vorrat; das reiche ja, wenn denn der Hersteller pünktlich liefere. Immer wieder habe er bei dem Produzenten angerufen, sogar schon überlegt, ob er das Salz aus Baumärkten bekommen könnte. "Aber vergessen Sie es", sagt van Gemmeren.

Seit drei Tagen ist sein Salzlager leer. Jetzt fahndet er in ganz Europa. Schuld sei Esco, die European Salt Company, der größte Salzlieferant Europas.

Im Video: Eis und Schnee sorgen am kommenden Wochenende für Behinderungen

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Bei Esco in Hannover sieht man das anders. "Verantwortlich ist die außergewöhnliche Witterung", sagt ein Unternehmenssprecher. "Wir haben seit Wochen einen Wintereinbruch." Da hätten die 800.000 Tonnen im Lager nun mal nicht gereicht. Man arbeite inzwischen im Dreischichtbetrieb, rund um die Uhr.

Ständig riefen Kommunen an, fragten nach Salz. "Die Telefone laufen heiß." Aber, sagt der Sprecher, "es ist halt nicht zu ändern." Das Salz, das gerade produziert wird, geht auf die Autobahnen und die Bundesstraßen, die hätten ein Vorrecht. Seinen Kunden in den Kommunen, die sich um Dorfstraßen und Innenstädte kümmern, macht er kaum Hoffnung: "Wenn es am Wochenende schneit, werden wir nicht in der Lage sein, die Lieferverzögerungen aufzuholen."

Daisy kommt schneegewaltig

Genau danach sieht es aus: Tief Daisy kommt mit eisigen Temperaturen und bis zu 45 Zentimetern Neuschnee. Der Deutsche Wetterdienst warnt, Daisy sei "vollgepumpt mit Feuchtigkeit", hinzu komme ein stürmischer Wind. Von Freitag an soll es kräftige Schneefälle geben.

Freuen können sich Hoteliers und Liftbetreiber; selbst im nicht gerade schneeverwöhnten Sauerland liegen 50 Zentimeter Schnee. Probleme bereitet das Wetter dagegen nicht nur Autofahrern, sondern auch Fußgängern. Allein im Unfallkrankenhaus Berlin klagt gut die Hälfte der insgesamt etwa 140 Notfallpatienten täglich über Sturzverletzungen.

Die Flughäfen stellen sich für das Wochenende auf einen Kampf gegen Eis und Schnee ein. Auch die Schifffahrt leidet. Der Elbe-Lübeck-Kanal blieb wegen 15 Zentimeter dicken Eises am Donnerstag auf etwa 60 Kilometern gesperrt.

Bei diesen Aussichten brauchen die Winterdienste nichts dringender als Salz. Aber während die Lager im Süden Deutschlands noch gefüllt sind, mussten viele Gemeinden im Norden und Westen inzwischen auf Split umstellen. Der Nachteil: Der Schnee taut nicht weg. Außerdem muss der Split auch wieder weggeräumt werden, was zusätzliche Kosten verursacht.

Schadenersatz und Schmerzensgeld bei Unfällen

"Salz wäre viel besser", sagt Werner Stadtlander aus dem Landkreis Verden bei Bremen, in dem ebenfalls das Salz ausgegangen ist. Weil die Gehwege spiegelglatt sind, hat man in Verden entschieden, die Schule ausfallen zu lassen. Mit Salz wäre das nicht passiert.

Die Frage, wer schuld ist am Salzmangel, hat auch rechtlich einige Bedeutung: Wenn wichtige Straßen nicht gestreut oder von Schnee geräumt werden, können Autofahrer, Radfahrer und Fußgänger bei einem Unfall Schadenersatz und Schmerzensgeld fordern. Darauf haben Verkehrsrechtler hingewiesen. Doch wer dann die Verantwortung trägt - die salzarme Gemeinde, der überforderte Salzlieferant oder doch höhere Mächte - muss im Einzelfall entschieden werden.

In Oberhausen brachte die Fahndung nach Salz inzwischen ein Ergebnis. Man sei fündig geworden, sagt Heinz van Gemmeren. "In Österreich. 300 Tonnen." Ein wenig problematisch sei das aber schon. "Wir hoffen, dass die Lkw durchkommen." Na ja, und der Preis ist nicht besonders günstig. "Locker das Dreifache." Dabei ist Oberhausen ohnehin schon hoffnungslos verschuldet.

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SZ vom 08.01.2010/jobr
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