Süddeutsche Zeitung

Ein Anruf bei ...:Militärmusiker Hans Orterer, der den Marsch vermisst

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Zapfenstreich für Ursula von der Leyen: Zum Abschied wünscht sie sich von der Bundeswehr drei Stücke vom Stabsmusikkorps - unter anderem "Wind of Change".

Interview von Martin Zips

Zum "Großen Zapfenstreich" an diesem Donnerstag wünscht sich die ehemalige Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen vom Stabsmusikkorps der Bundeswehr drei Stücke: "Ode an die Freude" aus der neunten Sinfonie von Ludwig van Beethoven, das Kirchenlied "Ave Verum Corpus" von Mozart und "Wind of Change" von der Rockband Scorpions. Dazu ein Gespräch mit Hans Orterer aus Ebersberg, Komponist mehrerer Militärmärsche und Leiter diverser Bundeswehr-Musikkorps.

SZ: Herr Orterer, im Unterschied zu den bisherigen deutschen Verteidigungsministern wünscht sich Frau von der Leyen zu ihrer Verabschiedung gar keinen Marsch. Was halten Sie davon?

Hans Orterer: Als Kapellmeister, der an mindestens 120 Großen Zapfenstreichen beteiligt war, kann ich nur sagen: Wer sich einen Marsch wünscht, der tut vor allem den Musikern einen Gefallen.

Musikalisch?

Nein, praktisch.

Und wieso?

Die Noten der Märsche befinden sich im sogenannten Marschbuch, das man sich als Militärmusiker auf die Marschgabel ans Instrument klemmen kann. Stücke, die nicht in diesem speziellen Notenformat erhältlich sind, müssen von den Musikern erst auswendig gelernt werden, da man sich beim Großen Zapfenstreich ja nicht einfach so ein Notenpult vor den Bendlerblock stellen darf. Das Auswendiglernen braucht einen gewissen Vorlauf.

Ja gut, aber bei anderen Politikern, da hat man's ja auch geschafft. "My Way" bei Gerhard Schröder, "Over the Rainbow" bei Christian Wulff, "Smoke on the Water" bei Karl-Theodor zu Guttenberg.

Es ist alles eine Frage der Organisation. Aus eigener Praxis kann ich Ihnen jedoch sagen: Alles jenseits eines Marsches ist nicht einfach beim Großen Zapfenstreich. Einmal wünschte sich ein scheidender General, für den wir spielen mussten, das spätromantische Lied "Ade nun zur guten Nacht". Auch das war nicht leicht einzustudieren, ich musste dafür sogar ein eigenes Arrangement schreiben.

Herr Orterer, Sie sind Komponist des "Bergwacht-Marsches". Wäre es nicht netter, wenn sich Frau von der Leyen zum Abschied etwas wünschen würde, was man sich als Militärmusiker auch an die Marschgabel klemmen kann?

Sicher. Es kommt ja hinzu, dass die Veranstaltung immer im Halbdunkel bei Fackelschein stattfindet. Wenn der Wind auch nur ein bisschen weht, so sieht man von den Noten gleich gar nix mehr. Das ist mir in El Paso mal bei der Auflösung der Raketenschule passiert. Da hatte uns der Wind alle Fackeln ausgeblasen. Aber unseren "Fliegermarsch", den haben wir trotzdem weitergespielt, denn den konnten wir ja auswendig. Aber gut, zu von der Leyens Wunsch "Freude schöner Götterfunken" gibt es immerhin ein gutes Blasmusik-Arrangement von Herbert von Karajan, das geht dann schon.

Was ist mit dem Kirchenlied "Ave Verum Corpus" von Mozart? Zuletzt hatte sich ja Thomas de Maizière mit "Großer Gott, wir loben dich" für seine n Großen Zapfenstreich etwas Religiöses gewünscht. Kriegt man das als Soldat hin?

"Ave Verum Corpus" beherrscht man normalerweise als Militärmusiker. Das muss man ja bei Bundeswehr-Gottesdiensten zur Kommunion spielen oder bei Soldaten-Wallfahrten nach Lourdes. Ob das jetzt unbedingt in den Großen Zapfenstreich gehört, da macht man sich als Musiker schon so seine Gedanken. Aber Auftrag ist Auftrag. Ein größeres Problem sehe ich bei den Scorpions. Sagen Sie, wie hieß dieses Lied noch mal?

"Wind of Change". Kennen Sie's nicht? Das war so ein Wende-Hit.

Ach, wirklich?

Also neben David Hasselhoffs "Looking for Freedom". Nur bei den Scorpions, da pfeift einer immer so ...

Schwierig. Sehr schwierig. Die klassische Zapfenstreich-Aufstellung ist ja: Blasmusik, große Trommel, kleine Trommel, Becken und Pauke. Aber Pfeifen? Na ja, im Bendlerblock stimmt wenigstens die Akustik. Wissen Sie, ich habe schon so viele Zapfenstreiche auf irgendwelchen Sportplätzen spielen müssen. Aber: "Im Wald und auf der Wies, da klingt es immer mies." Es ist fürchterlich, wenn dir der Ton aus der Trompete gleich auf den Rasen plumpst.

De Maizière hat sich auch noch "Live is Life" von "Opus" gewünscht. Das ist schon so eine Art Marsch, finden Sie nicht?

Ach, man sollte das alles eh nicht allzu ernst nehmen. Ursprünglich war der Zapfenstreich ja so eine Art "Last Call" im Soldatenlager. Der oberste Chef strich über den Zapfen des Weinfasses und forderte von seinen Untergebenen die Nachtruhe ein. Dabei wurde er von Trommlern begleitet. Es war halt eine Abendmusik. Bei Ursula von der Leyens Liedern handelt es sich nur um den sogenannten Serenadenwunsch, also so eine Art persönliche Zugabe. Ein Großer Zapfenstreich, damit das klar ist, wäre auch ohne Serenadenwunsch gültig. Aber keine Angst, die kriegen das schon hin.

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Quelle:
SZ vom 14.08.2019
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