Süddeutsche Zeitung

Überwachung:Wie die Polizei mit Bodycams Gewalt verhindern will

Lesezeit: 3 min

Von Ronen Steinke, München

Nirgends auf der Welt gucken mehr Kameraaugen den Menschen hinterher als in London, heißt es. Keine andere Stadt taugt deshalb besser als Referenzpunkt auch für deutsche Überwachungsdebatten. Es liegt genau ein Jahr zurück, da hat der Londoner Polizeiführer Adrian Hutchinson einen großen Schwung zusätzlicher Videokameras für seine Polizisten angeschafft, 22 000 Stück. Mit einer Besonderheit: Die Beamten tragen die neuen Kameras an ihrer Uniform. Es entstehen Nahaufnahmen.

Die Zahl der Beschwerden gegen Polizisten sei deutlich zurückgegangen, seitdem sie ihre Einsätze auf diese Weise filmen müssten, sagte Hutchinson kürzlich. "Viele meiner Beamten sagen mir: Nein, das hat natürlich nichts geändert an der Art, wie ich mit Bürgern umgehe. Aber dann fügen sie hinzu: Es hat etwas geändert an der Art, wie einige meiner Kollegen mit Bürgern umgehen." Hutchinson grinste.

Videoüberwachung erzeugt Konformitätsdruck. Videoüberwachung diszipliniert. Die Argumente sind altbekannt, und weil Hutchinson, der Police Superintendent, der die Ordnungskräfte im Großraum der britischen Hauptstadt leitet, diese Argumente von Überwachungskritikern kennt, macht er sie sich zunutze. So fragte er in Berlin auf einer Konferenz vor deutschen Kollegen: Wenn es stimmt, dass der Kontrolldruck durch Kameras so stark ist, wie Bürgerrechtler immer behaupten - dann können sie, die eine bessere Kontrolle der Polizei wünschen, doch gegen diese spezielle Art von Kameras nichts einzuwenden haben. Oder?

Das Londoner Beispiel nehmen sich derzeit fast alle deutschen Bundesländer zum Vorbild. Vier Länder setzen Bodycams schon ein, zumindest in ausgewählten Städten. Hessen machte 2013 den Anfang, Rheinland-Pfalz, Hamburg und das Saarland sind gefolgt. Die übrigen Länder haben im vergangenen Jahr die Einführung dieser Technik in ihre Gesetzgebungsverfahren eingebracht oder zumindest zum politischen Ziel erklärt, so etwa Berlin und Mecklenburg-Vorpommern in ihren Koalitionsverträgen. Der bundesweite Trend ist deutlich. Nur Sachsen und Thüringen haben weder Gesetzesvorhaben noch Pilotprojekte aufgelegt, wie der Politikwissenschaftler Volker Eick in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Bürgerrechte und Polizei/Cilip zusammenfasst.

Ehe die Bodycam Ton und Bild aufzeichnet, sollen die Betroffenen darauf hingewiesen werden

Hiesige Innenpolitiker betonen weniger den Kontrolldruck auf Polizisten, als es der Londoner Superintendent Adrian Hutchinson tut. Der Grund dafür, dass Bodycams erprobt werden, sei die steigende Zahl von Pöbeleien und Gewalt gegen Beamte, heißt es in Nordrhein-Westfalen. "Wir wollen herausfinden, ob die Übergriffe auf Beamte durch den Einsatz der Bodycams abnehmen", sagte NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) am Montag. In Düsseldorf, Duisburg, Köln, Wuppertal und im Kreis Siegen-Wittgenstein würden die Polizeibehörden von Mai an mit insgesamt 200 hochauflösenden Bodycams ausgestattet, teilte Jägers Innenministerium mit. An dem Testlauf nehmen 400 Polizisten teil. Die Gewerkschaft der Polizei begrüßte das Vorhaben.

Dennoch stellt sich auch hierzulande die Frage, ob solche Nahaufnahmen künftig in beide Richtungen abschrecken können: also Gewalt gegen und Gewalt durch Polizeikräfte vorbeugen. In Bremen und Hessen hat es schon erste Untersuchungen gegeben, wie der Forscher Volker Eick in Cilip schreibt, nur sind die Studien dort empirisch ohne jede Aussagekraft geblieben. Dabei wurden Polizisten mit Körperkameras losgeschickt - allerdings wurden ihre Streifen zugleich auf drei oder vier Beamte aufgestockt. Dass bei den Einsätzen seltener etwas schief lief als bei herkömmlichen Streifen mit nur zwei Beamten, mag schlicht daran gelegen haben.

Datenschützer tun sich mit Kritik an der neuen Entwicklung schwer. Bodycams filmen nicht ohne Anlass, sondern nur in Situationen, in denen ohnehin ein menschlicher Polizist hinschaut. Wenn später vor Gericht Aussage gegen Aussage steht, dann schafft diese Nahaufnahme eine Grundlage für eine unabhängige Klärung. Ehe die an der Brust getragene Kamera Ton und Bilder aufzeichnet, sollen die Betroffenen darauf hingewiesen werden. "Das allein könnte schon entwaffnend sein", sagte Ralf Jäger über den erwünschten Effekt. Die Kamera zeichnet zwar dauernd auf. Aber erst wenn der Beamte auf einen Knopf drückt, beginnt sie, die Aufnahme zu speichern, angefangen mit der zurückliegenden Minute. Der Rest wird laufend gelöscht.

Wissenschaftler von der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Gelsenkirchen begleiten nun in Nordrhein-Westfalen den erneuten Testlauf.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3460601
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.04.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.