Süddeutsche Zeitung

Tourismus-Betrug in Nepal:Scheinkrankheiten in der Höhe

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Von Titus Arnu

Die Höhenkrankheit kommt schleichend. Es fängt an mit Kopfschmerzen, Übelkeit, Appetitlosigkeit und Müdigkeit, sodass man die Symptome für den Beginn eines Magen-Darm-Infektes halten könnte. Schon ab 2500 Metern Höhe können erste Anzeichen auftreten. Trekking-Touristen, die im Himalaja auf 3000 bis 5000 Meter unterwegs sind, sind besonders gefährdet. Zu den Symptomen der fortgeschrittenen Höhenkrankheit zählen auch Schwindel und Orientierungslosigkeit. Verantwortungsvolle Guides sollten dann dafür sorgen, dass betroffene Patienten umdrehen und in Begleitung eines Helfers absteigen.

In schlimmeren Fällen muss ein Rettungshubschrauber kommen und den Patienten in eine Klinik bringen, denn die Höhenkrankheit kann lebensbedrohliche Folgen haben. Viele Trekking-Touristen buchen die Versicherung für den Heli gleich im Paket mit Träger und Vollverpflegung, um die Rettungsaktion im Zweifelsfall nicht selbst zahlen zu müssen.

Allerdings werden in Nepal offenbar auch Touristen abgezockt, die gar nicht höhenkrank sind. Aus einer umfangreichen Untersuchung, die von der nepalesischen Regierung vorgelegt wurde, geht hervor, dass viele Rettungsaktionen gar nicht notwendig waren, weil die vermeintlichen Höhenkranken allenfalls einen Schnupfen hatten. Einige Reiseveranstalter sollen sogar etwas in das Essen von Wanderern gemischt haben, damit diese per Hubschrauber aus den Bergen gerettet werden mussten, berichtet die Kathmandu Post. Trekking-Guides erklärten gesunde Wanderer für krank, ließen sie gegen ihren Willen vom Hubschrauber abholen, ein Arzt stellte eine falsche Diagnose, die Klinik berechnete aufwendige Therapien, die gar nicht stattfanden - und alle kassierten doppelt und dreifach bei den ausländischen Versicherungen ab. Ermittler des nepalesischen Tourismusministeriums haben acht Reiseveranstalter, vier Krankenhäuser und drei Hubschrauberanbieter als Beteiligte an der konzertierten Betrugsmasche identifiziert.

Nepalesische Guides kassierten dem Bericht zufolge eine Provision, wenn sie einen Patienten bei bestimmten Ärzten ablieferten. Dokumente beweisen, dass Trekking-Agenturen mit Krankenhäusern Verträge abgeschlossen haben über eine finanzielle Beteiligung an den Versicherungserlösen nach solchen fingierten Rettungsaktionen. Diese Betrugsmasche war vor zehn Jahren noch die ärgerliche Ausnahme, mittlerweile ist sie offenbar ein Teil der wachsenden und lukrativen Trekking-Industrie im Himalaja. Touristen sind die wichtigste Einnahmequelle Nepals, das zu den ärmsten Ländern der Welt gehört. Nach dem verheerenden Erdbeben im Jahr 2015 ist der Tourismus wichtiger denn je für die Wirtschaft, doch der Markt ist schwierig. Mehr als 2000 Trekking-Firmen konkurrieren um etwa 250 000 Wanderer und Bergsteiger pro Jahr.

Groß angelegter Betrug ist natürlich kein Geschäftsmodell, das imagefördernd wirkt, deshalb setzt die Regierung nun auf Aufklärung. Tourismusminister Rabindra Adhikari hatte deshalb im Juni eine Kommission beauftragt, den Betrug zu untersuchen, nachdem sich ausländische Versicherungen und betroffene Touristen beschwert hatten. Der Schaden soll mehrere Millionen Euro betragen. "Fingierte Rettungen sind ein Verbrechen", zitiert die Himalayan Times aus dem Untersuchungsbericht, "solche Agenturen sollten juristisch zur Rechenschaft gezogen werden." Die Regierung erwägt zudem, eine Polizeieinheit zur Rettung von Bergwanderern in Not einzurichten. Beobachter zweifeln allerdings an, ob es tatsächlich zu harten Maßnahmen kommt, denn Korruption ist in Nepal weit verbreitet, auch in Regierungskreisen.

Mehrere ausländische Versicherungsunternehmen haben nun damit gedroht, wegen des Betrugs-Skandals vom 1. September an keine Versicherungen für Nepal mehr anzubieten. Deutsche Trekkingreiseveranstalter wie Studiosus, Wikinger-Reisen und Hauser Exkursionen nehmen unterdessen ihre Partner in Nepal in Schutz. Man arbeite ausschließlich mit seriösen Agenturen zusammen. Ovid Jacota, Geschäftsführer des Trekkingreisespezialisten Hauser Exkursionen, hat zwar schon von derartigen Betrugsfällen in Nepal gehört, in den meisten Fällen habe es sich allerdings um Individualreisende gehandelt, die bei einem der vielen Billiganbieter in Kathmandu gebucht hätten. Hauser hingegen habe einen solchen Vorfall in den 45 Jahren, in denen der Veranstalter Reisen in Nepal organisiert, mit eigenen Gästen nicht erlebt und schließe dies auch weiterhin aus, sagt Jacota. Die geschilderten Praktiken seien "äußerst schädlich für Nepal und für die 99 Prozent der Nepali, die seit vielen Jahren äußerst zuverlässig, ehrlich und gerade in schwierigen Situationen am Berg mit hoher Professionalität arbeiten".

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SZ vom 29.08.2018
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