Süddeutsche Zeitung

Flughafen in Berlin:Das Ende von Tegel macht wehmütig

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Nach 60 Jahren und einer halben Milliarde beförderter Passagiere hebt zum letzten Mal eine Maschine in Tegel ab. Viele Berliner trauern, aber es ist auch ein neuer Anfang.

Von Verena Mayer, Berlin

Die Meteorstraße ist nicht gerade das, was man in Berlin eine Szene-Location nennen würde. Sie liegt inmitten einer verschlafenen Siedlung aus Einfamilienhäusern und Schrebergärten, gleich daneben rauscht die Autobahn vorbei. Und doch strömen von überall Leute in die Meteorstraße. Paare, Rentnerinnen, Familien mit Kindern, junge Leute mit gezückten Handys. Sie alle sind hier, weil man von der Meteorstraße, beziehungsweise der Böschung mit der Mauer, die hier verläuft, einen ganz besonderen Blick hat: auf die Maschinen, die vom Flughafen Tegel abheben.

Der Platz ist in Berlin als "Planespotter-Hügel" bekannt und zieht normalerweise vor allem Menschen an wie den wortkargen Mann in Military-Outfit, der mehrere Kameras mit riesigen Objektiven in einer Tasche hat: Flugzeugbegeisterte, deren Ehrgeiz es ist, möglichst gute Bilder von Maschinen zu schießen, es gibt eine weltweite Szene für Planespotter. An diesem strahlenden Novembersamstag aber kommen vor allem Leute, die den Flughafen Tegel erleben wollen. Die noch einmal sehen wollen, wie die Maschinen auf die Startbahn rollen und dann steil über der Meteorstraße in den blauen Himmel über Berlin ziehen.

Denn an diesem Wochenende hebt in Tegel die letzte Maschine ab. Zwar wird der Flughafen noch sechs Monate lang betriebsbereit sein, für den Fall, dass es eine Panne am neuen Hauptstadtflughafen BER gibt. Aber sonst ist Schluss mit TXL, nach 60 Jahren, 6,5 Millionen Starts und Landungen und einer halben Milliarde beförderter Passagiere endet eine Ära.

Die Flughafen-Feuerwehr spritze zum Abschied Fontänen

Vor allem im Westen Berlins ist viel Wehmut zu spüren. Hunderte Menschen kommen am Wochenende zum Flughafen, um sich mit Maske und Abstand noch einmal umzusehen. Ein letztes Mal die sechseckige Architektur bestaunen, die zur Bauzeit etwas Revolutionäres hatte und bis zum Schluss dazu führte, dass Wege und Wartezeiten kurz waren.

Als sich dann Sonntag Nachmittag wirklich die allerletzte Maschine bereit macht, Air France AF1235 nach Paris (Air France absolvierte 1960 auch den ersten Linienflug nach Tegel), wird noch mal das ganze Besteck aufgefahren: Formationsflug der Bundespolizei, Flughafen-Feuerwehr mit Fontänen, Spalier stehende Angestellte in gelben Warnwesten.

Einmal mehr sagen die Flughafen-Verantwortlichen, wie wichtig Tegel für Berlin war. Die Tegel-Fans in der Politik, die den Flughafen um jeden Preis offen halten wollten, melden sich ebenfalls noch einmal mit ihrer Meinung zu Wort, dass es neben dem BER noch einen City-Airport brauche. Bei einem Volksentscheid hatte 2017 eine Mehrheit dafür gestimmt, Tegel zu behalten - er ist allerdings rechtlich nicht bindend.

Für die Anwohner ist die letzte Maschine auch ein Neuanfang

Nicht immer ist klar, worum die Leute am meisten trauern. Um eine Institution, die Jahrzehnte lang für die Berlinerinnen und Berliner das Tor zur Welt war, besonders zu Mauerzeiten. Oder um das Fliegen, das Verreisen ganz allgemein. Denn das Ende von Tegel fällt zusammen mit Corona und einer der schlimmsten Krise der Luftfahrt.

Die Planespotter an der Meteorstraße reißen ihre Handys in die Höhe, als sich auf dem Rollfeld eine der letzten Maschinen bereit macht. Ein kleiner Junge blickt hinüber zum Flughafen, der im Dunst verschwimmt, und sagt zu seinem Vater: "Ich sehe gar nichts, nur eine Schrottbude." Da hat er nicht unrecht. Am Flughafen Tegel wurde in den vergangenen Jahren nur das Nötigste in Schuss gehalten, Tegel war veraltet und überlastet zugleich, ein Auslaufmodell in jeder Hinsicht.

Das soll nun anders werden. Wenn es nach der Berliner Politik geht, entstehen hier demnächst eine Hochschule und ein Technologiepark, genannt "The Urban Tech Republic". Dazu sollen sich Start-ups ansiedeln und mehrere tausend Wohnungen gebaut werden, alles klimafreundlich. Und das ist dann auch der Grund, warum die Stimmung ein paar Minuten von der Meteorstraße entfernt sehr gut ist. Denn dort, am Kurt-Schumacher-Platz, leben die Menschen, über deren Köpfe Jahrzehnte lang die Maschinen hinweggedonnert sind, mit allem, was dazu gehört, Lärm, Dreck, verminderte Lebensqualität. Für sie ist die letzte Maschine der Anfang von etwas.

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