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Schweiz:Eine Entführung, die Rätsel aufgibt

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In der Schweiz wird der Chef der Impfkommission kurzzeitig verschleppt, der mutmaßliche Täter stirbt später durch eine Polizeikugel. Schnell ist von einem politischen Motiv die Rede, aber so einfach ist das nicht.

Von Isabel Pfaff, Bern

Die Schweiz ist ein Land, in dem sich Prominente eher selten mit auffälligen Bodyguards und gepanzerten Autos vor der Öffentlichkeit schützen müssen. Hier trifft man mitunter die Ministerin beim Stadtspaziergang oder berühmte Bankmanager in der Bergbahn an. In der Pandemie mit ihren für Schweizer Verhältnisse heftigen gesellschaftlichen Verwerfungen hat sich das allerdings verändert - und nun wirft ein spektakulärer Entführungsfall die Frage auf, ob es mit dieser besonderen Atmosphäre womöglich ganz vorbei ist.

In der Nacht vom 6. auf den 7. April, so teilte die Zürcher Kantonspolizei noch in derselben Nacht mit, kam es in Wallisellen bei Zürich beim Versuch einer Verhaftung zu einem Schusswechsel. Am Ende waren ein 38-jähriger Deutscher und eine 28-jährige Schweizerin tot. Wie man inzwischen weiß, steckt hinter der Meldung ein Entführungsfall, der es in sich hat: Eine Woche vor dem tödlichen Vorfall hatte der 38-Jährige den Präsidenten der Schweizer Impfkommission, Christoph Berger, mit Schusswaffen bedroht und in seine Gewalt gebracht. Nach einer guten Stunde ließ er Berger wieder laufen, woraufhin dieser die Polizei alarmierte. Bei ihren Ermittlungen fanden die Beamten heraus, dass der Entführer über Schusswaffen verfügte, deshalb sollte er mithilfe einer Spezialeinheit verhaftet werden. Bei dem Zugriffsversuch erschoss der Tatverdächtige zunächst seine Partnerin, schließlich starb er selbst durch eine Kugel aus einer Polizeiwaffe.

Die Kantonspolizei erwähnte in ihren Mitteilungen nicht, wer das Entführungsopfer war. Als der Zürcher Tages-Anzeiger am Freitagabend Bergers Identität enthüllte, stoppte ein Gericht die Namensnennung mit einer superprovisorischen Verfügung, die Zeitung musste Bergers Namen wieder aus ihren Texten entfernen. Doch die Nachricht war in der Welt. Am Sonntag wandte sich schließlich der Impfchef selbst an die Medien und bestätigte, dass er der Entführte gewesen sei.

Verbindungen zur Coronaleugner-Szene

Christoph Berger stand bei Impffragen prominent im Fokus. Er erzählte Journalisten in den vergangenen Monaten mehrmals von den Anfeidungen und Belastungen, denen er als Gesicht der Schweizer Impfkampagne ausgesetzt war und ist. Wurde er also aus politischen Motiven entführt?

Dafür spricht auf den ersten Blick manches. Wie der Tages-Anzeiger am Freitag schrieb, hatte der getötete Entführer Verbindungen zur Corona-Skeptiker-Szene: Sein Geschäftspartner, mit dem er 2020 eine Nachbarschaftshilfe-App lanciert haben soll, gehört demnach der Flat-Earth-Bewegung an und verbreitete zudem in den sozialen Medien Corona-Verschwörungsmythen. Gemäß anderen Medienberichten nahm der Geschäftspartner auch an Demonstrationen gegen die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung teil. Wie die Polizei am Freitag mitteilte, hat sie im Zusammenhang mit der Entführung einen 34-jährigen Schweizer verhaftet. Nach übereinstimmenden Medienberichten soll es sich bei ihm um besagten Geschäftspartner des getöteten Deutschen handeln.

Der Impfchef sagt, es sei nur um Geld gegangen

Doch insbesondere nach Bergers Mitteilung vom Sonntag steht in Frage, ob die Entführung mit der Corona-Impfung zu tun und damit ein politisches Motiv hatte. "Dieses Narrativ widerspricht meinem persönlichen Erleben während der Entführung", schreibt Berger. Der Täter habe ihn "mit der Forderung eines substanziellen Geldbetrags konfrontiert". Es hätten also wirtschaftliche Interessen im Vordergrund gestanden, Bezüge zu seiner Funktion als Impfchef habe der Täter nicht gemacht. Darüber hinaus möchte Berger keine weiteren Angaben machen.

Derweil laufen mehrere Strafuntersuchungen: Die Staatsanwaltschaft hat gegen den mutmaßlichen Entführer ein Ermittlungsverfahren wegen vorsätzlicher Tötung und wegen Entführung eingeleitet; da der Mann tot ist, wird die Untersuchung nach Abschluss der Ermittlungen eingestellt, ohne dass es zum Prozess kommt. Auch gegen die bei der Schießerei involvierten Polizeibeamten wird ermittelt, wie es in solchen Fällen üblich ist. Für die Beteiligten, insbesondere den kürzlich festgenommenen 34-Jährigen, gilt bis zum Abschluss der Verfahren die Unschuldsvermutung.

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