Süddeutsche Zeitung

Gastronomie im Saarland:"Der Zeitpunkt kam ein bisschen ungünstig"

Lesezeit: 3 min

Mit gemischten Gefühlen lässt sich Habib Hamdani auf das Öffnungsexperiment im Saarland ein. Wie viele Wirte ist auch er skeptisch - und das liegt nicht nur am Wetter.

Interview von Oliver Klasen

Obwohl Frankreich so nah ist, sprechen viele im Saarland nicht so gut französisch, wie man erwarten könnte. Es ist eher die Lebensart, deretwegen sie sich dem Nachbarn verbunden fühlen. Straßencafés zum Beispiel mag man hier genauso gerne wie in Frankreich - und hat sie in der Pandemie schmerzlich vermisst. Weil die Politik weiß, wie wichtig im Saarland das Savoir vivre ist , war die kontrollierte Öffnung der Außengastronomie zentraler Bestandteil des Modellversuchs, der an diesem Dienstag begonnen hat. Zwei Dinge trüben die Euphorie jedoch. Zum einen guckt der Rest der Republik skeptisch auf das kleine Bundesland im Südwesten, "Zahlen rauf, trotzdem auf", titelte die Bild spöttisch. Zum anderen haben die Saarländerinnen und Saarländer Angst vor der eigenen Courage. Die Altstadt von Saarlouis, wo sich Kneipe an Kneipe reiht, war am Dienstag und Mittwoch leer, kaum ein Pächter hatte aufgesperrt. In Saarbrücken nutzt nur eine Minderheit der Gastronomen die Lockerungen aus. Zu groß die Angst, dass alles gleich wieder vorbei sein könnte. Habib Hamdani, 33, hat es versucht. Er ist als Betriebsleiter für vier Lokale zuständig, eines davon liegt auf dem St. Johanner Markt mitten in der Landeshauptstadt.

SZ: Herr Hamdani, wie waren die ersten zwei Tage?

Habib Hamdani: Die Gäste haben das Angebot gut angenommen. Die sind froh, dass sie wieder im Lokal was trinken dürfen. Wir haben auch einige Reservierungen fürs Wochenende. Aber trotzdem: Man spürt die Unsicherheit.

Das heißt, die Leute sind ein bisschen schüchtern?

Ja, kann man so sagen. Die Gäste genauso wie die Gastronomen. Ich finde das verständlich. Es wäre ja auch falsch zu sagen, wir können genauso Gas geben und Party machen wie zuvor. Hier auf dem Marktplatz, wo es etliche Kneipen gibt, haben nur zwei Läden aufgesperrt. Okay, es liegt auch am Wetter. Jetzt im Moment, wo wir telefonieren, schneit es gerade.

Eine Ihrer Kneipen heißt "Klimbim". Um die Öffnungen im Saarland gab es auch viel Klimbim.

Es ist kompliziert. Wir müssen den Gästen viel erklären. Viele wissen zum Beispiel nicht, dass man keinen negativen Test braucht, wenn man am Tisch höchstens zu fünft ist und in maximal drei Haushalten wohnt, wobei nur ein Haushalt nicht zur engeren Familie gehören darf. Hat man einen negativen Test, dürfen zehn Leute an einem Tisch sitzen.

In Ihren Lokalen servieren Sie nur Getränke, oder?

Ja, das macht es einfacher. Wenn man verderbliche Ware hat, ist die Planung schwierig. Ich verstehe, dass Restaurants zögerlicher sind beim Öffnen. Die warten ab, bis das Wetter besser wird und sich die Infektionszahlen stabilisiert haben.

Angela Merkel hat den saarländischen Modellversuch als "gewagt" bezeichnet.

Ich verstehe die Kritik. Selbst ich als Gastronom, der von den Lockerungen wirtschaftlich profitiert, muss sagen, der Zeitpunkt kam sehr unerwartet und auch ein bisschen ungünstig.

Warum?

Vor zwei Wochen hat der Herr Hans ( Tobias Hans, der saarländische Ministerpräsident, Anmerkung der Redaktion) noch gesagt, wir müssen den Lockdown über Ostern hinaus verlängern, und einen Tag später kam dann das mit der Modellregion.

Das heißt, es wäre Ihnen lieber gewesen, die Politik hätte einen Lockdown angeordnet?

An sich ist die Strategie des Saarlandes gut. Öffnungen ankündigen und den Menschen eine Perspektive geben, wie und wann es weitergeht. Aber ich bin skeptisch, wenn ich mir die Infektionszahlen angucke. Ich persönlich hätte, wenn ich Politiker wäre, lieber drei, vier Wochen gewartet, bis die Zahlen runtergehen, viele Menschen geimpft sind und wir mit Tests die Lage kontrollieren können. Ende April, Anfang Mai hätte die Gastronomie dann aufmachen können, und vielleicht weniger Angst gehabt, dass alles schnell wieder vorbei ist.

Können Sie denn Ihre Lokale allein mit dem Außenbetrieb rentabel betreiben?

Hier am Marktplatz geht das gut, wenn wir so viele Tische besetzen können wie im Sommer. Bei den anderen drei Betrieben, die weniger Außenfläche haben, ist es schon schwieriger.

Wie sieht es mit dem Personal aus? Haben Sie spontan genug Kräfte zusammenbekommen?

Ja, es geht. Vor ein paar Tagen hatten wir eine Personalversammlung und haben uns mit den neuen Corona-Regeln vertraut gemacht. Alle sind jetzt hungrig danach, endlich wieder arbeiten zu können. Die Festangestellten waren lange in Kurzarbeit. Von den Aushilfen haben wir leider ein paar verloren.

Weil die keine Zukunft mehr gesehen haben?

Die hatten von jetzt auf gleich keine Einnahmen mehr und mussten ja weiter Miete zahlen. Ein paar, die Eltern im Hintergrund hatten, konzentrieren sich nun voll auf ihr Studium. Einige haben im Einzelhandel angefangen, bei Discountern, und es gibt auch ein paar, die inzwischen in Testzentren arbeiten oder im Gesundheitsamt bei der Kontaktnachverfolgung helfen.

Was wünschen Sie sich für die nächsten Wochen?

Dass es nicht wieder schneit. Und dann hoffe ich, dass die Leute doch wenigstens ein bisschen was gelernt haben aus dem ersten und zweiten Lockdown. Ich hoffe auch, dass sich noch viel mehr Leute testen lassen. Ich selbst mache das drei Mal pro Woche. Auch bei unseren Mitarbeitern haben wir es möglichst so eingerichtet, dass sie immer, wenn sie Schicht haben, an diesem Tag getestet werden können. Zwei Monate müssen wir vielleicht noch durchhalten, und wenn es klappt, dann können wir einen ähnlich lockeren Sommer haben wie letztes Jahr.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5257996
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.