Süddeutsche Zeitung

Warten auf das Obduktionsergebnis:Prince' Tod lässt Amerikaner über Schlafmangel diskutieren

Lesezeit: 4 min

Viele schlafen weniger als sieben Stunden pro Nacht - und fürchten nun um ihr eigenes Leben.

Von Jürgen Schmieder

Es gibt Menschen, die hielten Prince für einen androgynen Freak mit Fiepselstimme, aber jetzt tragen auch sie lila Klamotten, sie posten rührende Nachrufe in sozialen Netzwerken oder behaupten, zum Lied "Sexy Motherfucker" entjungfert worden zu sein. Jeder liebt dich, wenn du tot bist, so ist das nun mal, und die Regel, über Verstorbene nur Gutes zu berichten, gilt für eine Weltberühmtheit in exponentieller Form.

Was aber nicht heißt, dass gewisse Hemmungen nach dem Tod dann doch fallen, bei Stars im Speziellen: Jeder, der vor 20 Jahren eine Minute lang mit dem drittbesten Freund des Schwippschwagers des ehemaligen Bodyguards von Prince verbracht hat, will und darf nun eine Geschichte erzählen. Promiportale wie TMZ verkaufen diese Berichte als "Informationen aus verlässlicher Quelle" und bauschen sie zu schockierenden Storys auf. Wer mit seiner Kunst in vieler Leute Köpfen ist, der darf nicht in aller Ruhe tot sein, da ergeht es Prince nicht anders als Michael Jackson und vielen anderen vor ihm.

Kokain? (Keine) Medikamente?

Die derzeit beliebtesten Theorien zum Leben und Sterben von Prince: Er habe regelmäßig Kokain genommen, sei jedoch am vergangenen Donnerstag an einer Überdosis des Opioid-Präparats Percocet verstorben, von dem er nach einer Hüftoperation abhängig geworden sei und von dem er sich nach einem Konzert versehentlich zu viel verabreicht habe.

Oder: Er habe als Zeuge Jehovas komplett auf Medikamente verzichtet und sei deshalb an den Folgen einer verschleppten Grippe gestorben. Oder: Er habe in der Woche vor seinem Tod 154 Stunden lang ohne Pause gearbeitet und dabei sechs Nächte lang nicht geschlafen.

Oder: Er sei aufgrund von Geldmangel gestresst gewesen und habe mit Panikattacken gekämpft. Oder: Er habe vor sechs Monaten erfahren, dass er mit HIV infiziert sei; er habe noch nicht einmal engste Vertraute darüber informiert.

Obduktion vs. Spekulation

Das Midwest Medical Examiner Office in Minnesota bekräftigte auf Nachfrage der Süddeutschen Zeitung, dass Chefärztin Quinn Stobl die Obduktion beendet habe, es jedoch einige Wochen dauern würde, bis die Analysen abgeschlossen seien und die Todesursache feststehen würde (siehe Infokasten). Alles andere ist Spekulation unter Berufung auf Menschen, die womöglich in den Tagen vor seinem Tod mit Prince zu tun hatten.

Oder ihn seit 20 Jahren nicht mehr gesehen haben. Der Anwalt von Prince, Londell McMillan, dementiert derzeit schneller als sein Schatten: "Die Drogengerüchte sind absurd. Warten wir doch die Ergebnisse der Obduktion ab."

Die Kombination aus Krankheit und Schlafentzug ist die am weitesten verbreitete Theorie, wohl auch deshalb, weil sich daraus eine relativ plausible Indizienkette zum Tod des Künstlers erstellen lässt. Prince hatte zunächst ein Konzert in Atlanta wegen Grippe abgesagt und am 14. April nachgeholt. Er entschuldigte sich bei den Besuchern, er sei "zuletzt ein bisschen durch den Wind" gewesen und fügte an: "Wartet noch ein paar Tage, bevor ihr für mich betet."

Auf dem Rückflug nach Minneapolis gab es dann eine Notlandung in Illinois, wo Prince drei Stunden lang in einem Krankenhaus behandelt wurde. Danach bereitete er sich auf zwei Überraschungskonzerte in St. Louis vor, die jedoch abgesagt wurden.

Fanatischer Workaholic

Yvette Noel-Schure, die PR-Agentin von Prince, bestätigte die Krankheit und die intensiven Vorbereitungen auf die Konzerte. Der Musiker galt schon vor vielen Jahren als fanatischer Workaholic, der bisweilen rund um die Uhr komponierte und produzierte. Für das Album "For You" etwa hat er jedes einzelne Instrument selbst eingespielt und jede Stimme gesungen.

Prince war ein musikalisches Füllhorn, das in den wenigen kreativen Pausen damit beschäftigt war, an seinem Image als Popstar zu basteln, indem er sich mit Plattenfirmen anlegte oder Dateien an Journalisten schickte, damit die gefälligst das unaussprechliche Symbol statt seines Namens in ihre Artikel einbauten. Er war ständig in Bewegung und kaum zu fassen; das herrliche Beispiel dafür, dass einer nicht exzentrisch wird, weil er berühmt ist. Er wird berühmt, weil er exzentrisch ist.

Amerikaner diskutieren über ihr Schlafverhalten

Aus den Mythen um die Rastlosigkeit und den Berichten über die letzten Wochen vor dem Tod entsteht nun, wie nicht selten beim plötzlichen Ableben prominenter Persönlichkeiten, eine gesellschaftliche Debatte. Bei Michael Jackson ging es um Medikamentenmissbrauch, bei Prince nun darum, ob nicht zahlreiche Menschen zu viel arbeiten und zu viel erleben wollen und deshalb zu wenig schlafen. Es wird über Studien diskutiert, nach denen 74 Prozent der Amerikaner pro Nacht weniger als sieben Stunden schlafen.

Wenn man es genauer wissen will, kann man zum Beispiel bei William Brown anrufen, er ist Schlafpsychologe. "Eine Nacht ohne Schlaf entspricht einem Blutalkoholwert von 1,0 Promille", sagt er, "etwa ein Drittel der Angestellten einer Firma erscheinen zur Arbeit mit einem Level an Übermüdung, als wären sie betrunken."

Plädoyer für "Schlafrevolution"

Zu wenig Schlaf erhöhe langfristig das Risiko von Herz- und Lungenkrankheiten, das Immunsystem könne gewaltig geschädigt werden. Die Huffington Post-Gründerin Arianna Huffington etwa kippte vor einigen Jahren übermüdet um und brach sich den Kieferknochen. Sie warnt nun in ihrem Buch "The Sleep Revolution" vor der ständigen Angst, etwas zu verpassen - und den desaströsen Folgen für eine Gesellschaft, deren Mitglieder wie Zombies herumlaufen. Bei einer solchen Debatte hilft die Strahlkraft eines Stars natürlich.

Exzentriker strahlen besonders gut, weshalb nicht zuletzt in sozialen Netzwerken nachzulesen ist, dass Prince ganz sicher im Himmel ist, vielleicht mit Michael Jackson auf einer Wolke, wo die beiden bestimmt gerade ein gigantisches Pop-Festival planen, für das ja schon so viele beeindruckende Musiker nach oben gerufen worden sind.

Vielleicht wundern sie sich aber auch über die Menschen, die ständig spekulieren, statt einfach in Ruhe die Musik zu hören, die ihnen von den beiden geschenkt worden ist. Gerne auch im Schlaf.

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Quelle:
SZ vom 29.04.2016
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