Süddeutsche Zeitung

SZ-Kolumne "Mitten in ...":Bist du's wirklich?

Lesezeit: 2 min

Ein SZ-Autor fühlt sich in Washington, D.C., wie im Schlaraffenland für Journalisten. Doch dann platzen alle Interview-Träume. Drei Anekdoten aus aller Welt.

Mitten in ... Washington, D.C.

Sechs Interview-Anfragen habe ich an die aufstrebende US-Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez (AOC) schon per Mail verschickt. Ohne Antwort. Jetzt bin ich selbst in D.C., vielleicht wird's ja doch noch was? Erster Vormittag in der Stadt, eine Demonstration, vorne marschiert Bürgerrechtslegende Jesse Jackson. Spontan mal den Bodyguard gefragt, schon schüttelt mir Jackson die Hand. Was für eine Stadt, was für eine Nähe zu ihren Protagonisten! Später sitze ich vorm Kapitol, unweit bildet sich eine Menschentraube um eine junge Frau, aber Moment, das wird doch nicht, das kann doch nicht ... Doch, tatsächlich: AOC spricht dort mit einer Gruppe junger Leute! Schnell dazugesetzt, zugehört, abgewartet. Dann meine Chance: Ich will sie gerade um ein Interview bitten, da fängt mich ihre wachsame Assistentin ab. Ich solle doch bitte lieber eine E-Mail schicken. Patrick Wehner

Mitten in ... Gelsenkirchen

In der Nähe des gläsernen Opernhauses in Gelsenkirchen gibt es eine beeindruckende optische Täuschung, die zugleich ein Brunnen ist. Ein wuchtiger schwarzer Granitblock scheint von einer hohen Wasserfontäne in einigen Metern Höhe gehalten zu werden, inmitten eines quadratischen Beckens. Das Kunstwerk heißt - recht treffend - "Die Kraft des Wassers". Abgerundet wird es etwas lieblos von einem verrosteten Baden-verboten-Schild. Viel Wirkung scheint das jedoch nicht zu zeigen, zumindest nicht heute: Ein Junge watet durch den flachen Brunnen und kühlt seine Füße ab. Ob er das Verbotsschild übersehen hat oder es bewusst missachtet, sei einmal dahingestellt. In seinem kühnen Gesetzesbruch demonstriert er jedenfalls, welche Kraft Wasser noch haben kann: Erfrischung an einem heißen Sommertag. Julius Bretzel

Mitten in ... Bologna

Wir brauchten ein Zimmer, die Freundin hatte Bolognina empfohlen, das Viertel hinter dem Hauptbahnhof. Wirkte modern und sauber. Gut, müssen wir bei der Ankunft eingestehen, es hätte Unterkünfte gegeben, die nicht so sehr nach international gleichgestyltem Hipstertum aussehen. Beim Abendessen fragt die Freundin, wo wir untergekommen sind. The Student Hotel, jaja, kennt sie. Früher ein Bürogebäude, dann wurde es besetzt, schließlich geräumt, Riesenaufruhr im linken Bologna. Und dann hat dieses möchtegernstudentische Ding aufgemacht, von einer holländischen Firma. Ist gerade das meistdiskutierte Gentrifizierungsprojekt, sagt sie. Herrje. Am nächsten Tag spazieren wir durchs Viertel. An eine Mauer hat jemand geschrieben: "Peggio della pandemia c'è solo lo Student Hotel." Schlimmer als die Pandemie ist nur das Student Hotel. Elisa Britzelmeier

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