Süddeutsche Zeitung

Schönheitswettbewerbe:Venezuelas Miss-Wirtschaft

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Kein Land ist bei internationalen Miss-Wahlen erfolgreicher, um den Schönheitskult hat sich eine ganze Industrie entwickelt. Doch was vordergründig wie eine Chance für die Frauen aussieht, birgt Gefahren für Körper und Seele.

Von Christoph Gurk

Bei der Wahl der Miss Venezuela ist dieses Jahr jede Teilnehmerin eine Gewinnerin. Das klingt natürlich erst mal nach einem schrecklich einfallslosen Versuch, die in Tränen aufgelösten Verliererinnen zu trösten. Schließlich sind sie zwar nicht Erste geworden, dennoch haben sie aber bestimmt ganz, ganz wertvolle Erfahrungen gesammelt. Dieses Jahr aber ist das mit dem Sieg für alle wörtlich gemeint, denn tatsächlich durfte jede der 22 Finalistinnen einmal gewinnen, zumindest für kurze Zeit.

Denn wenn am Donnerstagabend in Venezuela die diesjährige Ausgabe von "Miss Venezuela" ausgestrahlt wird, dann ist dies erstmals in der mehrere Jahrzehnte währenden Geschichte der Veranstaltung keine Live-Übertragung, sondern eine vorab aufgezeichnete Show. Schuld ist das Coronavirus: Längst wütet der Erreger auch in Venezuela, und die Regierung hat Maßnahmen verhängt, um die Verbreitung einzudämmen. Und so stehen die Kandidatinnen nicht wie sonst gemeinsam im gleißenden Scheinwerferlicht, es gibt kein Publikum, keine große Bühne, keinen Pomp und Glamour. Bei allen Einschränkungen darf aber natürlich dennoch eines nicht fehlen: jener Moment, in dem die Siegerin verkündet wird und in einem ansonsten durchorchestrierten Event die echten Emotionen durchbrechen. Auch er wurde längst aufgezeichnet, allerdings nicht nur mit einer Kandidatin, sondern mit allen. Nur so konnte man wohl verhindern, dass schon vorab durchsickert, wer am Ende die echte Siegerin ist.

Denn tatsächlich ist "Miss Venezuela" nicht nur einfach ein Schönheitswettbewerb, sondern der alljährliche Höhepunkt einer nationalen Obsession. In wohl kaum einem anderen Land der Welt bekommen Miss-Wahlen solche Aufmerksamkeit wie hier, und lange Zeit gab es kein Event, das mehr Zuschauer vor den Fernseher zog als "la noche mas linda", die schönste Nacht, wie die Veranstaltung auch genannt wird.

2009 folgte auf eine Miss Universe aus Venezuela eine Miss Universe aus Venezuela

Die Gewinnerinnen bekommen viel mehr als nur einen Titel und eine Krone, nämlich die Chance, an internationalen Wettbewerben wie Miss World, Miss Universe oder Miss International teilzunehmen. In der Vergangenheit haben die Vertreterinnen aus Venezuela hier schon sechs- (Miss World), sieben- (Miss Universe) und achtmal (Miss International) den Titel geholt, der Höhepunkt war 2009 erreicht, als eine Venezolanerin den Titel Miss Universe wieder an eine Venezolanerin weitergab.

Kurz gesagt: Kein Land ist im Schönheitsbusinness so erfolgreich wie Venezuela, und viele Mädchen vor allem aus ärmeren Schichten träumen davon, über die Wettbewerbe den Weg in eine bessere Zukunft zu finden.

Schönheit schaffe in Venezuela Möglichkeiten, sagt auch die venezolanische Soziologin Esther Pineda. "Aber eine Gesellschaft, in der weibliche Anmut einen Wert hat, führt auch dazu, dass Frauen bewertet werden." Längst hat sich um den Schönheitswahn eine regelrechte Industrie entwickelt, in der Chirurgen jedes Jahr Tausende Frauen mit dem Skalpell optimieren und schon kleine Mädchen auf teuren Privatschulen lernen, wie man sich auf dem Laufsteg zu bewegen hat. Die Miss-Wirtschaft blüht, und das auch jetzt noch, zu einer Zeit, in der abseits der vermeintlichen Glitzerwelt das Leben in Venezuela immer weiter zusammenbricht.

Im Land herrschen Armut, Inflation, Gewalt

Einst eine der wohlhabendsten Nationen der Region dank riesiger Erdölreserven, steckt das Land heute in einer schweren Krise. Korruption und US-Sanktionen haben die Wirtschaft kollabieren lassen. Die Landeswährung ist kaum noch das Papier wert, auf das sie gedruckt wird, die Regale in den Geschäften sind leer. Fünf Millionen Menschen sind seit 2015 der Armut, Gewalt, Kriminalität und dem Terror in ihrer Heimat entflohen.

All das hat natürlich auch Spuren in der Glamourwelt der Schönheitswettbewerbe hinterlassen. Viele Frauen würden sich heute riskanten Operationen unterziehen, um trotz allem ihrem Schönheitsideal näher zu kommen, sagt die Soziologin Esther Pineda. Teilweise würden die Eingriffe sogar von Amateuren ausgeführt, weil sich die Patientinnen sie sich sonst nicht leisten könnten. Dazu komme es schon lange zu Prostitution und sexueller Ausbeutung rund um die Wettbewerbe, und mit der Pandemie könnten sich all diese Probleme noch verschlimmern. Und dennoch: "Weder die soziale und wirtschaftliche Krise noch Skandale oder selbst die Pandemie haben dazu geführt, dass die Wettbewerbe verschwinden", sagt Pineda. "Dazu sind sie viel zu sehr in der Kultur Venezuelas verankert."

Ein paar Einschränkungen gab es dieses Jahr natürlich trotzdem. Geht der Veranstaltung sonst ein monatelanges Training voraus, fand der Unterricht dieses Jahr per Videoschalte statt. Über Zoom, Whatsapp und Instagram lernten die Teilnehmerinnen zu Hause, wie sie noch besser über den Laufsteg schreiten können. Manchmal sei ihr der Online-Unterricht schwergefallen, sagte die Teilnehmerin Haydalic Urbano der Presseagentur AFP, allerdings nicht wegen der häufigen Stromausfälle oder weil das Internet mal wieder zusammenbrach, sondern weil sie jeden Tag davon geträumt habe, an Kursen in der Quinta Miss Venezuela teilnehmen zu dürfen, dem legendären Sitz des Veranstalters. "Aber wir haben uns daran gewöhnt, und ich bereue es nicht, an dem Wettbewerb in Zeiten der Pandemie teilgenommen zu haben."

Das Stadion, in dem einst vor Tausenden Zuschauern die Gala abgehalten wurde, wurde Ende Juli zu einem Bettenlager für Covid-Infizierte umfunktioniert. Und auch das Feld der Teilnehmerinnen hat sich reduziert, nachdem eine Kandidatin trotz Massenquarantäne bei einer Party festgenommen und kurz darauf disqualifiziert wurde. So blieben am Ende nur 22 Teilnehmerinnen, die sich um den Titel der Miss Venezuela bewerben. Gewinnen wird am Ende, wie immer: nur eine.

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