Süddeutsche Zeitung

Mafia im Schwarzwald:Rucola oder Marihuana?

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Von Stefan Mayr, Karlsruhe

Die Angeklagten kommen mit Handschellen und Fußketten in den Saal, begleitet von Polizisten mit schusssicheren Westen. Auf der Straße vor dem Gerichtsgebäude patrouillieren Sicherheitskräfte. Am Freitag hat in Karlsruhe der Prozess gegen neun mutmaßliche Mafiosi begonnen, die in der Schwarzwald-Region einen millionenschweren Drogenring aufgebaut haben sollen. Die Staatsanwaltschaft Konstanz wirft den italienstämmigen Männern im Alter von 26 bis 53 Jahren Drogenhandel, Waffenbesitz, Körperverletzung, Brandstiftung und in einem Fall versuchten Mord vor.

Die Verlesung der 117 Seiten langen Anklageschrift am Freitag dauert eineinhalb Stunden. Aber die Angeklagten schweigen. Sie verschränken die Arme und grinsen. Die meisten weigern sich sogar, Angaben zur Person zu machen. "Wer nichts sieht, nichts hört und nicht redet, wird in Ruhe 100 Jahre alt", sagt ein Verteidiger. Sein Mandant sei ein unbescholtener Pizzabäcker. Die neun Angeklagten haben 17 Anwälte mitgebracht. Das Landgericht Konstanz musste aus Platzgründen nach Karlsruhe ausweichen.

Hauptangeklagter ist Placido A., der bis zu seiner Festnahme zwei Restaurants in Rottweil und Villingen-Schwenningen geleitet hatte. Er wohnte in der Gemeinde Tuningen im Schwarzwald-Baar-Kreis. Aber was nach idyllischem Urlaubsort klingt, war der Sitz einer Drogenbande, die in großem Stil mit Kokain und Marihuana gedealt haben soll. Bei allen Angeklagten vermuten die Staatsanwälte Verbindungen zu den Mafia-Organisationen Cosa Nostra und 'Ndrangheta.

Die Kriminalpolizei Rottweil arbeitete bei ihren Ermittlungen monatelang eng mit der italienischen Finanzpolizei zusammen. Sie hörte Telefone ab und platzierte Wanzen in Autos. Einfach war es aber nicht, die Verdächtigen zu überführen. Sie nutzten wohl grundsätzlich Codewörtern, wenn sie miteinander sprachen. Wenn ein Kellner sagte, "Ich bringe dir eine Pizza mit Rucola", dann meinte er wahrscheinlich nicht Salat. Er meinte Drogen. Diese wurden auch in den Restaurants verkauft. Um Kontrahenten einzuschüchtern, soll ein Angeklagter im Mai 2017 im Städtchen Hüfingen mit einer Pistole auf eine Gaststätte geschossen haben. In dem Gastraum saßen zwei Personen, sie blieben unverletzt.

Im Juni 2017 durchsuchten dann 300 Polizisten etwa 30 Wohnungen und Geschäftsräume. Sie stellten fünf Pistolen sicher, dazu 78 Schuss Munition, 50 Gramm Kokain und zehn Kilo Marihuana. Die Beschuldigten wurden festgenommen, sechs von ihnen sitzen immer noch in Untersuchungshaft.

Zwei Beschuldigte wurden bereits wegen Drogenhandels verurteilt. Weil sie aber geständig waren und Angaben zu ihren Auftraggebern machten, kamen sie mit geringen Haftstrafen davon. Sie werden wohl als Kronzeugen gegen die Banden-Chefs aussagen. Der Prozess dauert voraussichtlich bis Juni 2019.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Mafia in Baden-Württemberg in Erscheinung tritt. Sie pflegt sogar Kontakte in höchste Kreise. Im Januar wurde der Gastronom Mario L. festgenommen, der mutmaßlich der 'Ndrangheta angehörte und in den 1990er-Jahren ein Duzfreund des späteren CDU-Ministerpräsidenten Günther Oettinger war. Der heutige EU-Kommissar war Stammgast in dessen Stuttgarter Pizzeria, aber es gibt keinen Hinweis darauf, dass Oettinger von dem Doppelleben des Wirtes wusste.

Laut Bundeskriminalamt leben mindestens 585 mutmaßliche Mitglieder von Mafia-Organisationen in Deutschland. Davon etwa 150 in Baden-Württemberg. Der Mafia-Experte Sandro Mattioli sagt, die Mafia sei im Südwesten "flächendeckend" vertreten.

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SZ vom 22.09.2018
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