Süddeutsche Zeitung

Kölner Dom:Tschö, Turmfortsatz!

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Nach zehn Jahren verschwindet am Kölner Dom endlich das Hängegerüst am Nordturm. Freie Sicht auf das Gotteshaus wird es trotzdem niemals geben.

Von Martin Zips

Nichts ist trauriger als der Anblick eines Baugerüsts. Aus künstlerischer Sicht mag, wie gerade in Paris, eine Verpackung ja durchaus reizvoll sein ("Ah, der Triumphbogen, dank Christo und Jeanne-Claude sieht man ihn ganz neu!"). Auch beim Stabilisieren alter Platanen (wie der des Hippokrates auf der griechischen Insel Kos) sind Gerüste ungeheuer sinnvoll. Im Alltag aber nerven sie. Sie stören die Optik und machen schlechte Laune.

In Köln haben sie gerade ein dreiteiliges Hängegerüst in 105 Meter Höhe erfolgreich von der Domfassade geholt. Damit ist die Turmseite am Hauptportal erstmals seit zehn Jahren wieder "gerüstfrei", wie es heißt. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich immer wieder mal Kaffeehausbesucher auf der Kölner Domplatte beschwert, dass ihnen beim Cappuccino Gerüste die Sicht auf die "Perfektgotik" (Heinrich Böll) versperren. Die Leute fragten sich, wie es denn sein könne, dass ein vor 141 Jahren und nach 632-jähriger Bauzeit endlich fertiggestelltes Sakralgebäude noch immer eingerüstet sei? Haben die Handwerker der sogenannten "Dombauhütte" denn sonst nichts zu tun?

Ja, so ist der Mensch. Er versteht einfach nicht, dass etwas derart Großartiges wie der Kölner Dom, ein weltweit einzigartiges Meisterwerk kirchlicher Baukunst, natürlich permanent gepflegt werden muss. Auch mit der Hilfe von Gerüsten. Sonst nämlich würde das Weltkulturerbe irgendwann mit Flechten zuwachsen oder von den Mäusen, Krähen, Möwen, Eulen und Fledermäusen übernommen werden, die ohnehin schon rund um den Dreikönigsschrein wuseln. (Biologen sprechen von 1000 Tonnen Biomasse an und in der Domkirche - die Sauerstoffproduktion ist vergleichbar mit einem kleinen Wäldchen). Setzt die Natur und der Mensch dem Gebäude irgendwann zu sehr zu, so müsste am Ende wahrscheinlich René Benko übernehmen. Und als Immobilieninvestor würde der aus dem Dom natürlich ein Einkaufszentrum machen.

"Der Kölner Dom ohne Gerüst ist keine Wunschvorstellung, sondern eine Schreckensvorstellung", so hat es die ehemalige Kölner Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner einmal ganz wunderbar formuliert. Wäre das Gotteshaus gerüstlos, "so hieße das, dass wir uns den Dom nicht mehr leisten könnten". Und mit "uns" hat Schock-Werner natürlich nicht Immobilieninvestoren, Trustmanager oder Milliardäre gemeint.

Es möchte auch niemand, dass sich das schlimme Unglück vom 15. August 1848 noch einmal wiederholt, über das die Düsseldorfer Zeitung einst so berichtete: "Ein von dem Thurme des Domes gestürzter Stein traf ein unter der Menge von Zuschauern am Thurme stehendes Frauenzimmer auf den Kopf, so daß dasselbe, ohne ein Lebenszeichen von sich zu geben, todt zur Erde fiel." Schlimm. Und, klar, es hätte auch den Kardinal treffen können.

Daher: Hängegerüste! Schon bald wieder neue. Spätestens 2023. Zum Glück ist bei der ganzen Abbauaktion mit dem 124 Meter hohen Kran am Donnerstag auch niemand so blöd ausgerutscht, wie damals der allererste Dombaumeister, der im April 1271 verstarb. Es ist, offenbar, alles gutgegangen. Und die Leute unten, im Café an der Domplatte, die haben wirklich schöne Fotos gemacht.

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