Süddeutsche Zeitung

Kölner Hauptbahnhof:Geiselnehmer präparierte Gasflaschen mit Stahlkugeln

Lesezeit: 3 min

Von Jana Stegemann, Düsseldorf

Als Mohammad R. um 12.30 Uhr das McCafé betritt, geht er direkt in eine hintere Ecke, setzt sich hin und öffnet seinen mitgebrachten Koffer. Er nimmt eine Flasche Benzin heraus und kippt große Mengen auf den Boden des Cafés. Das Benzin läuft mitten durch den Verkaufsraum.

Andere Kunden schauen irritiert, entfernen sich von der Flüssigkeit. Das Café ist voller Menschen an diesem Montagmittag. Doch Mohammad R. macht ungerührt weiter, er nimmt eine eckige, dunkle Flasche aus seinem Koffer: Darin ist noch mehr Benzin, ein Lappen, ein Docht - es ist ein selbstgebauter Molotowcocktail. Er zündet den Sprengsatz an, wirft ihn in die Benzinpfütze auf den Boden.

Kurz darauf zeigt die Aufnahme eine dramatische Explosion: Es ist nur noch ein greller Feuerschein zu sehen. Danach ein Mädchen, dessen Schuh brennt. Es rennt schreiend und brennend aus dem Café.

Die Polizei Köln zeigte das einminütige Überwachungsvideo aus dem McDonald's auf einer Pressekonferenz in Köln. Es ist die zweite Pressekonferenz nach dem Brandanschlag in einem McCafé und der Geiselnahme in einer Apotheke am Kölner Hauptbahnhof, die am Montagnachmittag große Teile Nordrhein-Westfalens in Atem hielt und den Zugverkehr um die Millionenstadt Köln für Stunden zum Erliegen brachte. Das Video mache deutlich, dass die Kunden in der Filiale überwiegend großes Glück gehabt hätten, sagte der Leiter der Direktion Kriminalität, Klaus-Stephan Becker.

Auch einen Tag danach ist das Motiv des Geiselnehmers unklar, die Polizei prüft weiter einen terroristischen Hintergrund. Die Identität des Geiselnehmers konnte allerdings geklärt werden. Demnach handelt es sich bei dem Mann um den 55-jährigen Syrer Mohammad R., dessen Ausweispapiere am Tatort gefunden worden waren.

Geiselnehmer fiel der Polizei schon 13 mal auf

Er war von der Polizei bei der Befreiung der Geisel angeschossen und schwer verletzt worden. Durch eine mehrstündige Operation am Abend wurde sein Leben gerettet, er liegt im Koma, befindet sich aber außer Lebensgefahr. Die Polizei befragte unterdessen in Offenbach seinen Sohn, als nächstes soll der Bruder des Mannes Auskunft geben über mögliche Hintergründe. Die Ehefrau des Geiselnehmers, der seit März 2015 in Köln lebt, stellte bereits zweimal bei der deutschen Auslandsvertretung in Beirut Antrag auf Einreise nach Deutschland - der wurde jedoch bisher von der Ausländerbehörde abgelehnt, da die gesetzlichen Vorgaben (Lebensunterhaltssicherung und Teilnahme an Integrationskursen) nicht vorlagen.

Der Geiselnehmer selbst soll wegen einer psychischen Erkrankung nicht arbeitsfähig gewesen sein und ist bisher 13 Mal kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten. Zwölf Ermittlungen wegen Bedrohung, Rauschgiftbesitz, Hausfriedensbruch, Körperverletzung und Betrug wurden allerdings eingestellt - nur am Amtsgericht Köln liegt eine Anklage wegen mehrfachen Betrugs vor. Seine Aufenthaltserlaubnis ist von der Stadt Köln bis Juni 2021 ausgestellt.

Der Stadt sei bekannt gewesen, dass "der mutmaßliche Täter sich in den vergangenen Jahren mehrfach strafbar gemacht hat", teilte die Stadt Köln in einer Erklärung mit. Diese Strafbarkeit führe aber nicht zu einer Ausreisepflicht, "solange jemand als Flüchtling vom BAMF anerkannt ist". Die Stadt Köln sei an eine etwaige Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gebunden. Köln selbst hätte den Flüchtling nur ausweisen können, wenn dieser zu mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden wäre.

Sein Vermieter in Neuehrenfeld, in dessen Haus vor allem Flüchtlinge leben, sagte dem Kölner Stadtanzeiger, R. habe seine Wohnung gekündigt, wollte an dem Montag eigentlich nach Hamburg ziehen. "Er konnte verbal aggressiv sein, ist schnell ausgerastet, zum Beispiel wenn man ihn im Spaß als Terroristen bezeichnet hat", zitiert die Zeitung den Vermieter weiter.

Bei einer Durchsuchung der Wohnung des Mannes hatten die Ermittler sehr viel Benzin gefunden. Außerdem zwei Handys, die noch ausgewertet werden. Die Ermittler fanden kein Bekenntnis zum sogenannten Islamischen Staat (IS). In der Apotheke soll der Mann gerufen haben, er gehöre zur "Terrorgruppe Daesh". Dabei handelt es sich um den arabischen Namen der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat. Ein Sprecher kündigte an, dass die Bundesanwaltschaft das Verfahren übernehmen werde. Dies sei wegen der besonderen Bedeutung des Falles geschehen.

"Die Geisel in der Apotheke war ein Zufallsopfer"

Kriminaldirektor Becker sagte auch, der Geiselnehmer habe über eine große Menge Benzin und mit Stahlkugeln präparierte Gaskartuschen verfügt. "Hätte er diese Kartuschen zur Explosion gebracht, wäre die Sprengwirkung ungeheuerlich gewesen." Dafür bedürfe es jedoch großer Hitze. Ob das mitgeführte Benzin dafür ausgereicht hätte, sei noch Gegenstand der Ermittlungen.

Sein Sprengmaterial führte er in einer Aktentasche und einem Koffer mit sich, die er jedoch in dem McDonald's zurückließ, wo er vor der Geiselnahme den Molotowcocktail zündete. "Die Geisel in der Apotheke war ein Zufallsopfer, sein eigentlicher Tatplan war offensichtlich eine Brandlegung im McDonald's. Warum er den nicht weiter verfolgt hat, wissen wir nicht", sagte Becker.

Nachdem die Sprinkleranlage in dem Café des Schnellrestaurants angegangen war, flüchtete der Mann in die nahe Apotheke, wo er eine Angestellte als Geisel nahm und die Frau mit Benzin überschüttete und anzuzünden versuchte. Sie erlitt eine Rauchgasvergiftung und wurde heute aus dem Krankenhaus entlassen. Die 14-Jährige aus dem McCafé hingegen wird heute erneut operiert, sie erlitt schwerste Verbrennungen durch den Molotowcocktail.

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