Süddeutsche Zeitung

Jugendliche Raucher:"Ich würde mir nie allein daheim eine Zigarette anzünden"

Lesezeit: 5 min

Laut einer Studie ist die Zahl der minderjährigen Raucher zuletzt sprunghaft gestiegen. Woran liegt das? Am Stress durch Krieg und Pandemie? Oder einfach daran, dass man jetzt wieder zusammensitzen und rauchen kann? Drei Jugendliche erzählen.

Von Julius Bretzel

Lukas hat ein Hobby, das ihn fordert. Er legt als DJ in den kleinen Techno-Clubs und Jugendzentren in seiner Gegend auf. Und wenn es für den 17-Jährigen aus Ravensburg an den Plattentellern anstrengend wird, dann tut er etwas, das er eigentlich nicht darf: "Ab und zu zünd' ich mir da eine Kippe an. Das bringt mich wieder runter." Lukas ist noch keine 18, minderjährig - und damit gemäß dem Jugendschutzgesetz zu jung für Tabak. Trotzdem raucht er gelegentlich.

Lukas gehört damit einer Gruppe an, die offenbar wieder wächst: der Gruppe der rauchenden Jugendlichen. Kürzlich wurden die neuesten Zahlen der Deutschen Befragung zum Rauchverhalten (Debra) veröffentlicht, einer Langzeitstudie der Universität Düsseldorf, für die regelmäßig 2000 Menschen Auskunft geben. Laut der Erhebung hat sich der Anteil der Raucher unter den 14- bis 17-Jährigen innerhalb eines Jahres fast verdoppelt: 15,9 Prozent gaben an, regelmäßig Tabak zu konsumieren, 2021 hatte der Anteil noch bei 8,7 Prozent gelegen. Der Studienleiter, Daniel Kotz, nannte das Ergebnis "erschreckend", für Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach war es "ein sehr großer Grund zur Sorge".

Warum fangen Jugendliche wie Lukas mit dem Rauchen an? Der 17-Jährige heißt eigentlich anders. Seine Eltern wissen mittlerweile zwar, dass er "Partyraucher" ist, dennoch möchte er nur anonym über sein Verhalten sprechen. Zu seinen ersten Zigaretten gegriffen hat er beim Zusammensitzen mit Freunden, beim Feiern. Die meisten seiner Freunde sind mittlerweile volljährig, aber es gibt auch jüngere Raucher in seiner Clique. Zum Beispiel Judith und Theresa: Beide sind 16, beide haben mit 15 angefangen, regelmäßig zu rauchen. Auch ihre Namen sind geändert. "Also bei mir hat es sich so ein bisschen eingeschlichen", erzählt Theresa. "Im Sommer waren wir immer zusammen draußen, und einige Freunde haben schon geraucht. Dann hieß es immer wieder: Wollen wir eine rauchen? Und dann war man halt dabei." Mittlerweile rauche sie jeden Tag. In seinem Freundeskreis, sagt Lukas, raucht etwa die Hälfte.

In dieser Clique wäre der Anteil der Raucher also noch höher als der in der Debra-Studie festgestellte. Bernd Werse, Diplomsoziologe und Leiter des Centre for Drug Research an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, rät dennoch dazu, mit den Werten aus der Umfrage vorsichtig umzugehen. Auch er beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit dem Rauchverhalten Minderjähriger. "Dass dieser Anstieg bei den Befragten jetzt so stark ausgefallen ist, kann man nicht eins zu eins in die Realität übertragen", sagt er. Das Ergebnis sei schon deshalb mit erheblichen Unsicherheiten behaftet, weil die Stichprobe so klein sei.

Wie alt sind die Jugendlichen bei ihrem ersten Zigarettenzug?

Werse bezweifelt, dass sich im vergangenen Jahr tatsächlich die Entwicklung umgekehrt hat. "Dazu geht der Trend einfach schon viel zu lange nach unten." Bei keinem Suchtmittel ist der Konsum in den vergangenen Jahren so stark zurückgegangen wie beim Rauchen von Tabak. Das zeigen Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Während vor 20 Jahren noch mehr als 20 Prozent der Jugendlichen rauchten, waren es 2021 gerade einmal sechs Prozent. Und während die Jugendlichen Anfang der Nullerjahre bei ihrem ersten Zigarettenzug im Durchschnitt jünger als 13 Jahre gewesen seien, seien sie mittlerweile älter als 14, sagt Werse.

Marcus Sillober, Schulleiter des Münchner Heinrich-Heine-Gymnasiums, hat Ähnliches beobachtet. "Das Rauchen ist bei uns seit vielen Jahren fast kein Thema mehr, auch auf Schulfahrten findet das in der Regel nicht statt", sagt er. Dass in den vergangenen Jahren immer weniger junge Leute zu rauchen angefangen haben, ist laut Suchtforscher Werse dem gestiegenen Gesundheitsbewusstsein und mehreren erfolgreichen Aufklärungskampagnen zu verdanken.

Die Debra-Forscher vermuten jetzt aber, dass der Dauerstress durch Pandemie, Krieg in der Ukraine und Klimakrise wieder mehr Jugendliche zur Zigarette greifen lässt, auch wenn ihnen noch keine wissenschaftlichen Daten über deren Motive vorliegen. Theresa aus Ravensburg gibt zumindest zu, dass Corona, Krieg und Klimawandel sie interessieren und besorgen. "Aber ich würde jetzt nicht sagen, dass es etwas an meinem Rauchverhalten geändert hat - vielleicht merke ich es aber auch nicht direkt."

Bernd Werse vermutet eher, dass sich nach dem weitgehenden Ende der Corona-Beschränkungen schlichtweg wieder mehr Gelegenheiten für Jugendliche ergeben haben, gemeinsam zu rauchen. So war es etwa auch beim Konsum von Alkohol und Cannabis: Zu Beginn der Pandemie waren die Zahlen eingebrochen, im vergangenen Jahr gingen sie dann genauso steil wieder nach oben.

Rauchen funktioniert nur in der Gruppe

Für Lukas, Judith und Theresa funktioniert Rauchen nur in der Gruppe. Ein "soziales Ding" nennt es Judith, die nie ohne ihre Freunde raucht. Lukas sagt: "Ich würde mir nie allein daheim auf der Terrasse eine Zigarette anzünden." Dabei gilt Rauchen aber nicht unbedingt als cool, "dieses Image hat sich klar geändert", sagt Werse. Im Umfeld der drei Ravensburger Freunde hat Rauchen einen "ziemlich neutralen" Ruf. Man müsse nicht rauchen, um dazuzugehören, sagt Judith. Weder cool noch uncool.

Image hin oder her - Rauchen unter 18 Jahren ist in der Öffentlichkeit gesetzlich verboten, ebenso der Verkauf von Tabakprodukten an Minderjährige. Wie kommen die Ravensburger Freunde an ihre Zigaretten? "Tatsächlich ziemlich leicht", sagt Lukas mit einem wagemutigen Ton in der Stimme. "Ich geh in den Laden rein, sag, was ich will, und krieg's dann auch." Nach dem Ausweis werde man selten gefragt. "Das ist eigentlich schon hart", gibt der Schüler selbst zu. Viele Verkäufer urteilten nach dem Augenschein - und Lukas kenne 13-Jährige, die wie über 20 aussehen. Judith und Theresa lassen sich meistens ihre Kippen von volljährigen Freunden kaufen. "Oder wir kriegen auch oft die Karte von denen", erklärt Theresa, "für den Automaten."

Neben den klassischen Zigaretten sind auch E-Zigaretten bei Jugendlichen beliebt. "Im Sommer war es extrem", sagt Theresa. "Da war es sehr verbreitet und da hatten wir auch alle welche." Die Autoren der Debra-Studie verzeichneten hier ebenfalls einen starken Anstieg und nannten ihn ein "besonderes Risiko", da E-Zigaretten mit ihren fruchtigen Aromen der Einstieg in die Nikotinabhängigkeit sein könnten. Nach ein paar Wochen sei der Hype in ihrem Freundeskreis aber wieder vorbei gewesen, sagt Judith und fügt hinzu: "Ich habe da auch ehrlich gesagt mehr Respekt davor, weil man nicht weiß, was da alles drin ist."

"Später will ich auf jeden Fall aufhören."

Das heißt nicht, dass die Jugendlichen denken, klassische Zigaretten seien nicht schädlich. Lukas denkt "bei jeder Zigarette" an die Gesundheitsgefahren. Auch Judith und Theresa sind sich derer bewusst. "Aber eigentlich ist das momentan kein Grund für mich, tatsächlich aufzuhören", sagt Judith. "Ich frage mich aber auch oft, wieso ich es eigentlich mache."

Die drei erzählen, dass sie im Freundeskreis häufig über das Aufhören sprechen. Denn eigentlich sind sich alle einig, dass die Zigaretten nur ein Teil ihrer Jugend sein sollen. "Wenn ich an die Zukunft denke - wenn ich einen richtigen Job habe, erwachsen bin und so -, dann will ich einfach nicht mehr rauchen", sagt Theresa. Auch Judith will später "auf jeden Fall aufhören".

Warum nicht jetzt gleich? "Ich finde, umso älter man wird, desto strenger wird man mit sich selbst", sagt Lukas. Als junger Mensch nehme man alles nicht so ernst, egal was es sei. "Man ist gemütlicher, wenn man jung ist, oder?" Dieses Gefühl will er sich mit seinen Freunden noch ein bisschen bewahren.

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