Süddeutsche Zeitung

Reisfeldkunst in Japan:Nie war Reis schöner

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Nach pandemiebedingter Pause sind in Japan wieder Kunstwerke in Reisfeldern zu sehen. Sie zeigen: Die Sehnsucht nach Schönheit ist groß - und der Japanismus lebt.

Von Thomas Hahn, Gyoda

Da ist die Welle im Reisfeld. Man kann sie von der kleinen Anhöhe am Fuße des Turmes im alten Lotusdorf von Gyoda sehen. Die dunklen Halme zeichnen sich klar von den grünen ab, sodass in der Ebene die Konturen einer großen, sich brechenden Meereswelle zu sehen sind. Und etwas weiter rechts erkennt man den Nationalberg Fuji mit seiner schneebedeckten Kuppe aus helleren Pflanzen. Aber wer die Reisfeldkunst richtig sehen will, muss hinauf auf den 50 Meter hohen Aussichtsturm des Parks. Die Schlange vor dem Eingang ist lang, und ein Mitarbeiter des Lotusdorfes zählt die Leute ab, denn natürlich können nicht zu viele gleichzeitig aus der Höhe auf eines der schönsten Reisfelder Japans schauen.

Es ist keine gute Zeit für Japan. Die neue Coronavirus-Krise, die während der Olympischen Spiele vor vier Wochen begann, ist so groß geworden, dass Krankenhäuser Patienten ablehnen müssen. Die Infektionszahlen sind nicht mehr nur in Metropolregionen wie Tokio stark angestiegen, sondern auch in ländlichen Präfekturen. Aber vielleicht ist Japans Reisfeldkunst gerade deshalb jetzt wichtig.

Schönes zu betrachten, gehört zum japanischen Leben wie Sushi und Sake. Hanami zum Beispiel, das Kirschblütenfest im Frühling, heißt wörtlich: Blüten betrachten. In der Pandemie waren die feuchtfröhlichen Hanami-Partys untersagt, trotzdem fehlte vielen Menschen in Japan nicht viel. Denn in die Kirschgärten konnten sie ja gehen. Und wenn sie die Blüten sehen, finden sie alles nicht so schlimm. Die Reisfeldkunst ist auch so ein tröstliches Schauspiel.

Die Reisbauern in Inakadate in der Nord-Präfektur Aomori haben die Tradition 1993 begründet. Seit über 2100 Jahren wird in Inakadate Reis angebaut. Und weil man den örtlichen Grundschulkindern diese alte Ackerbaukultur nahebringen wollte, säten die Bauern dort auch Reispflanzen aus ganz alten Zeiten. Sie stellten fest, dass diese andere Farben hatten als die modernen Pflanzen. So entstand die Idee, die Reissorten so anzupflanzen, dass daraus ein Bild wird.

Wo welche Sorte gesät werden muss, wird inzwischen am Computer entworfen

Die ersten Reisfeldbilder waren noch etwas grob, aber bald ließen die Bauern sie am Computer entwerfen. Die Angaben, wo welche Pflanze gesät werden muss, wurden genauer, und heute sind die Reisfeldbilder detailreiche Prachtwerke mit räumlicher Tiefe. Andere Reisstandorte haben die Kunst übernommen. Seit 2008 tut das auch die 80 000-Seelen-Stadt Gyoda auf den Feldern hinter dem Lotuspark. 2015 kam die Stadt damit sogar ins Guinness-Buch der Rekorde, weil ihr Bilder-Reisfeld mit 2,8 Hektar Fläche das größte der Welt war.

Gyoda liegt eine Zugstunde von Tokio entfernt. Vom Bahnhof muss man den Bus nehmen. Auf dem Parkplatz des Lotusdorfs stehen viele Autos. Wer zum Aufzug des Aussichtsturms möchte, muss warten. 400 Yen, 3,10 Euro, kostet der Eintritt. Bevor man bezahlen kann, muss man Name, Adresse, Telefonnummer aufschreiben und sich Fieber messen lassen. Standards der Pandemie. Niemand murrt, und für den Blick lohnt sich der Aufwand. Das Feld sieht von oben wirklich aus wie ein Gemälde in Grün- und Brauntönen.

"Der Japanismus lebt wieder in den Reisfeldern"

Seit 13 Jahren haben Gyodas Menschen in Gemeinschaftsarbeit immer ein anderes Bild angesät. Nur 2020 gab es keine Ausstellung wegen der Pandemie. Dieses Jahr lautet das Thema deshalb: "Der Japanismus lebt wieder in den Reisfeldern." Das Reisfeld zeigt die Motive des berühmtesten Edo-Zeit-Holzschnitts von Katsushika Hokusai, die Große Welle von Kanagawa mit dem Fuji im Hintergrund aus dem Zyklus "36 Ansichten des Berges Fuji". Dazu schaut man in das ausdrucksstarke Gesicht eines Kabuki-Schauspielers. Die Besucherinnen und Besucher stehen an den Aussichtsfenstern und fotografieren.

Aus vier verschiedenen Sorten haben die Reisfeldkünstler von Gyoda das Bild zusammengepflanzt, darunter eine besonders langsam wachsende, die angeblich den 3-D-Effekt der Darstellung verstärkt. Der August ist der beste Monat, um sie zu sehen. Erst im Oktober wird der Reis und damit auch das Bild abgeerntet. Den Leuten gefällt es. Kozue Yoshimoto von der städtischen Stiftung für Industrie, Kultur und Sport hat in der Zeitung Mainichi gesagt: "Die Zahl der Besucher ist wieder auf dem Niveau von vor der Pandemie angekommen." Die Sehnsucht nach schönen Feldern scheint in Japan größer zu sein als die Angst vor dem Virus.

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