Süddeutsche Zeitung

Japan:Das Märchen von den Katzen und dem Museum

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Von Christoph Neidhart, Tokio

Go und Ken möchten ins Kunstmuseum von Onomichi, einer Kleinstadt unweit von Hiroshima. Fast täglich versuchen sie es, aber der uniformierte Türsteher schickt sie weg. Manchmal krault er sie freundlich, aber wenn sie an ihm vorbeizuhuschen versuchen, verscheucht er sie. So geht das seit bald drei Jahren.

Go und Ken sind Katzen, sie gehören einem Restaurant, das in der Nähe des Museums liegt. Mit ihrem unbefriedigten Kunstsinn wurden sie in Japan bekannt, der Twitter-Account @bijutsu1 dokumentiert ihre fehlgeschlagenen Versuche, eingelassen zu werden. In vielen Fällen mit Fotos oder kurzen Filmchen. Katzenvideos und -geschichten gehören schließlich zu den populärsten Themen in den sozialen Medien, in Japan mehr noch als anderswo. "Süß" oder "niedlich" ist das wertvollste Attribut, das die Japaner für Babys und Tiere (und immer noch für junge Frauen) haben.

@bijutsu1 hat 47 600 Follower, die Beiträge sind millionenfach geteilt worden - das genügt für eine Schmonzette aus Japan. Oder? Die Ingwer-farbene Go und der schwarze Ken haben es in den vergangenen Tagen jedenfalls bis in die Weltpresse geschafft. Mehrere Medien mit sehr vielen Lesern und Followern, etwa der britische Guardian, haben über die Kätzchen berichtet. Eine süße, kuriose Anekdote, zufällig entstanden? Ganz so niedlich ist die Geschichte dann doch nicht.

Go und Ken sind in Wahrheit vierbeinige Marken-Botschafter, wenn auch sehr begabte. Bald nachdem das losgegangen war mit den Katzen und Wärtern, begann der Museumsladen, Jute-Taschen mit den beiden Ausgesperrten zu verkaufen. Im ersten Katzen-Eintrag auf @bijustu1 vor drei Jahren hieß es bloß: "Die Katze des benachbarten Restaurants ruht sich auf dem Museumsareal aus." Inzwischen ist der Twitter-Account - der offizielle und einzige des Kunstmuseums - fast ausschließlich Go und Ken gewidmet.

Ein anderer Twitterer berichtet, die Museumsleute hätten die beiden Vierbeiner schon lange gekannt. Dann sei jemand auf Idee gekommen, mit ihnen auf das zu wenig besuchte Museum aufmerksam zu machen. Der Kurator organisierte also eine Katzenausstellung. Er ließ hinter einer Glaswand, von außen gut sichtbar, drei naturalistische schwarze Katzenskulpturen durch die Museumshalle spazieren. Damit soll er das Interesse von Go und Ken, auch eingelassen zu werden, gewissermaßen zusätzlich geschürt haben.

Onomichi will mit seiner Kultur Touristen anziehen

Die Kleinstadt Onomichi spielte in der japanischen Kultur des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle, insbesondere in der Literatur. Der bedeutende Schriftsteller Naoya Shiga, den die Japaner heutzutage nur noch in der Schule lesen (müssen), wohnte einige Zeit hier und beschrieb das Städtchen. Onomichi ehrt ihn und seine Kollegen mit einem Schriftstellerpfad, mit der Kultur will man Touristen anziehen. Auch Onomichis Tempel sind berühmt, vor allem der 1100 Jahre alte Senkoji. Das Kunstmuseum nun thront gleich in der Nähe des Tempels auf dem Takahama, 200 Meter über Onomichi. Und - Zufälle gibt's! - unten, am Fuße des Takahama, führt seit 1997 eine sogenannte "Katzengasse" an 108 steinernen Katzenskulpturen ins Viertel mit den Kunstgalerien und Gartencafés. In dieser Gasse liegt auch das Maneki-Neko-Museum.

Maneki-Neko nennt man jene berühmten Katzenskulpturen, die eine Vorderpfote in die Höhe halten. Sie sind in Japan ein Talisman und sollen Glück bringen.

Und, wenn es irgendwie geht, auch gute Geschäfte.

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Quelle:
SZ vom 19.11.2018
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