Süddeutsche Zeitung

Italien:Professor der Finsternis

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Raffaele Cutolo, der mächtigste Mafiaboss Neapels, ist tot. Er schaffte es, auch aus dem Gefängnis heraus zu regieren.

Von Oliver Meiler, Rom

In Neapel nannten sie ihn 'O prufessore, der Professor. Und in diesem Spitznamen steckte schon ein schöner Teil jenes Mysteriums, das Raffaele Cutolo, den mächtigsten Boss der Camorra, wie die neapolitanische Mafia heißt, zu Lebzeiten umwehte. Er trug eine Brille mit goldenem Rahmen. Er konnte gut reden, las viel: Hobbes, Rawls, Machiavelli. Er hatte ja auch viel Zeit. 58 Jahre lang saß Cutolo im Gefängnis, so lange wie vor ihm kein italienischer Häftling, die meiste Zeit in Isolationshaft. Doch das hinderte ihn nicht daran zu herrschen. Nun ist Cutolo im Alter von 79 Jahren im Hochsicherheitsgefängnis von Parma gestorben.

Viele Geheimnisse nimmt er mit in den Tod, wahrscheinlich sind auch brisante dabei, solche aus der Zwischenwelt von Mafia und Politik. Kurz vor seinem Tod sagte er einmal: "Wenn ich rede, bricht das Parlament zusammen." Geredet hat er dann doch nie, auch bereut hat er nichts.

Cutolo kam 1941 in Ottaviano zur Welt, einer Stadt am Fuß des Vesuvs. Der Vater war Bauer, die Mutter arbeitete in einer Wäscherei. Mit 22 beging er seinen ersten Mord - an einem jungen Mann, der seiner Schwester Rosetta einen anzüglichen Kommentar nachgerufen hatte. Im Gefängnis dachte er sich Wege aus, wie sich die anarchische und fragmentierte Camorra zusammenführen ließe, damit sie im Kampf gegen die besser organisierte sizilianische Cosa Nostra bestehen konnte. Die hatte damals viele Geschäfte im Land unter Kontrolle, weit über Sizilien hinaus.

In den 1970er Jahren gründeten Cutolo und seine Freunde draußen die Nuova Camorra Organizzata, die Struktur dafür hatte er der kalabrischen 'Ndrangheta abgeschaut. Cutolo selbst war der Boss, der Superboss, der aus der Zelle über allem thronte und mit vermeintlich kryptischen Botschaften mit der Außenwelt kommunizierte. Bald hörten 10 000 Leute auf seine Befehle. Doch nicht alle Clans in Neapel machten mit. Die Konkurrenz formte sich zur Nuova Famiglia. Die zwei Organisationen lieferten sich einen unvorstellbar brutalen Bandenkrieg, mit Morden fast jeden Tag, auf offener Straße. Die neapolitanische Tageszeitung Il Mattino führte Buch, die bleiernste Phase der Bruderfehde fand Anfang der 80er statt. 1981: 295 Tote. 1982: 273. 1983: 290.

Dennoch wandte sich die Politik immer wieder an Cutolo, wenn sie Dinge regeln wollte, die der Staat von selbst nicht in den Griff bekam. Bekannt wurde der Fall von Ciro Cirillo, einem kampanischen Regionalrat, der 1981 von den Roten Brigaden entführt wurde. Cirillos Partei, die regierende Democrazia Cristiana, schickte offenbar Agenten ins Gefängnis, damit sie mit dem Superboss verhandelten. Cutolos Leute im Knast bedrängten darauf Linksterroristen, die mit ihnen einsaßen, so lange mit Messergewalt, bis die Brigaden klein beigaben. Cirillo kam frei.

1983 heiratete der Boss seine Verlobte Immacolata Iacone, ein Fan, sie hatte sich als 17-Jährige während der Prozesse in ihn verliebt. 2007 bekam sie eine Tochter, der Staat hatte eine künstliche Befruchtung zugelassen. Ein Vorname wie ein Schicksal: Immacolata ist das italienische Wort für unbefleckt. Die beiden trafen sich im Gefängnis, doch körperlich wurden Mann und Frau offenbar nie miteinander. Kurz vor Cutolos Tod erlaubte die Staatsanwaltschaft dann aber einen Besuch, damit sie Abschied nehmen konnte. Doch Immacolata Iacone kam ein paar Stunden zu spät.

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