Süddeutsche Zeitung

Indischer Tempelschatz:Wenn der Zorn der Götter droht

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Unter einer Tempelanlage wurde der angeblich größte Schatz Indiens gefunden. Nun streiten Politiker und Forscher um die Kostbarbkeiten, die 15 Milliarden Euro wert sein sollen. Die Tempelwächter aber wollen das Gold nicht herausgeben.

Tobias Matern, Neu-Delhi

Eine Dose hat den royalen Nachfahren verdächtig gemacht. Tag für Tag, so heißt es nun, habe Marthanda Varma das Gefäß aus dem Tempel getragen. Niemand schöpfte Verdacht, schließlich essen Millionen Inder liebend gerne ihren Milchreis aus so einem Behälter. Doch nun will Velikkakathu Sankaran Achuthanandan, kommunistischer Oppositionsführer im indischen Bundesstaat Kerala, den entscheidenden Tipp von einem Priester erhalten haben: Varma, der den Sri-Padmanabhaswamy-Tempel seiner Vorfahren verwaltet, schmuggele in der Box regelmäßig Reichtümer aus der heiligen Anlage. "Da sind Juwelen drin", behauptet der Politiker. Aber damit nicht genug: Der Geistliche habe seinen Posten im Tempel verloren, als er Varma mit seinen Anschuldigungen konfrontiert habe.

Der Streit um den angeblich größten Schatz Indiens in einer religiösen Stätte geht damit in eine neue Runde. Alles begann im Juni, als ein Gericht gegen den Willen Marthanda Varmas anordnete, die Kellergewölbe des Tempels von einem Expertenteam gründlich durchforsten zu lassen und aufzulisten, was sich in den angeblich seit Ewigkeiten nicht geöffneten Kammern verberge. Dann fanden die Forscher nach eigenen Angaben massenweise antike Kostbarkeiten: Goldmünzen, Götterstatuen, Diamanten, Ketten und Kronen.

Der Schatz soll mehrere Jahrhunderte alt sein, schließlich geht der Sri-Padmanabhaswamy-Tempel auf das 16. Jahrhundert zurück. Die Könige des damaligen Travancore ließen die Anlage für Vishnu erbauen, den hinduistischen Gott der Erhaltung, und sie verbargen ihre Reichtümer im Keller. Als die britischen Kolonialherren Indien 1947 in die Unabhängigkeit entließen, schloss sich Travancore mit dem Prinzenstaat Cochin zusammen. Beide Regionen bildeten einen Vorläufer des heutigen indischen Staates Kerala. Der Tempel fiel einer Stiftung zu, und Varma führt das Gremium heute an.

Obwohl seit dem Fund des Schatzes nun schon Monate vergangen sind, gibt es in der Öffentlichkeit bis heute weder genauere Filmaufnahmen noch Fotos der Kostbarkeiten. Dafür sind astronomische Summen in der Welt, bis zu 15 Milliarden Euro soll der Schatz ersten oberflächlichen Schätzungen zufolge wert sein - auch wenn viele Fundstücke gar nicht in Geld zu bemessen seien, wie der Chef der Schatzsucher zu bedenken gab: "Wie soll man einen genauen Preis festlegen für Antiquitäten von unschätzbarem Wert?", sagt Ananda Bose, der am Nationalmuseum arbeitet und das Expertenteam im Tempel von Kerala anführt.

Sozialaktivisten finden dennoch, dass der Gegenwert des Schatzes von Kerala zur Bekämpfung der Massenarmut eingesetzt werden solle. Aber Stiftungschef Varma hält dagegen - und stellt sich als Beschützer des höheren Willens dar. Gerichtlich will er verbieten lassen, dass eine weitere Kammer geöffnet und die Fundstücke in den Besitz des Bundesstaates Kerala gelangen. Sein Argument: Es handele sich um Gaben für die Götter, die seine Vorfahren angehäuft hätten. Der heilige Zorn dürfe nicht heraufbeschworen werden. Viele hinduistische Pilger hätten sich schon bei ihm beschwert, ihre religiösen Gefühle seien verletzt worden. Es sei Aufgabe der Richter, das in der Verfassung verbriefte Recht auf eine geschützte Ausübung der Religion durchzusetzen.

Solche Argumente finden im religiösen Indien große Resonanz. Auch als kürzlich ein Astrologenteam ein viertägiges Ritual in der Tempelanlage abhielt, um den Willen der Götter zu erkunden, wartete die Öffentlichkeit gespannt auf das Urteil: Der Tempelschatz solle nicht gehoben werden, teilte der Leiter des Rituals anschließend mit. Wer sich nicht daran halte, laufe Gefahr, dass ein Familienmitglied durch einen Schlangenbiss sterbe.

Auch die Regierung von Kerala ist auf der Seite Varmas: "Die Reichtümer gehören in den Tempel", sagte Keralas Ministerpräsident Oommen Chandy, der es sich offenbar nicht mit den hinduistischen Wählern verscherzen will. Aufgabe des Staates sei es, für Sicherheit in der Anlage zu sorgen. Den atheistischen Oppositionsführer Achuthanandan bringen solche Aussagen auf die Palme. Der Tempelhüter betreibe "ein Doppelspiel", er wolle sich doch nur selbst bereichern. Dabei hätten die Nachfahren der Könige keinen Anspruch auf den Schatz - es sei Sache der Politik, ihn zu verwalten.

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Quelle:
SZ vom 23.08.2011
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