Süddeutsche Zeitung

Paketbomben-Prozess:Und wer war es jetzt?

Lesezeit: 3 min

Das Landgericht Heidelberg hat Klaus S. im Prozess um die Paketbomben an Lebensmittelfirmen freigesprochen. Eine zentrale Rolle spielten die Ohrläppchen des Angeklagten.

Von Fabian Thomas

Wer steckt hinter Maria Schwarz, Doris Merkel und Christine Müller? Die Namen standen als falsche Absender auf drei Paketen, versendet am 15. Februar in Ulm. Die Postsendungen gingen an Lebensmittelfirmen und waren so konstruiert, dass sie beim Öffnen explodierten. Mehrere Menschen wurden verletzt. Wer der Täter ist, bleibt unklar: Am Freitagmorgen sprach das Landgericht Heidelberg den angeklagten Klaus S. frei.

Fieser Erpresser oder unschuldiger Rentner? Das war die Frage, um die sich der Prozess drehte. 228 Tage saß Klaus S. in Untersuchungshaft, seit September stand er vor Gericht. "Ich bin ein anständiger Bürger, ich bin unschuldig und hoffe auf Gerechtigkeit", hatte er anfangs erklärt. Er finde es "grausam, wie die deutsche Justiz versucht, mit viel Aufwand und Energie mein Leben zu zerstören". Am Ende waren nicht nur die Nebenkläger, sondern auch die Richter nicht mehr überzeugt, mit dem 67-Jährigen den richtigen Täter gefunden zu haben. Trotz umfassender Beweisaufnahme seien Zweifel nicht ausgeräumt worden, sagte der Vorsitzende Richter Markus Krumme laut der Nachrichtenagentur dpa, es gelte das Prinzip "im Zweifel für den Angeklagten".

Der Prozess lief noch, da wurde der Mann plötzlich freigelassen

Bereits vier Tage nach der Tat war Klaus S. festgenommen worden. Die Ermittlungen zum Versandweg und zur Art der Sprengstoffpakete habe die Sonderkommission auf die Spur des Mannes aus dem Raum Ulm geführt, hieß es damals. Bei einer Hausdurchsuchung fanden die Beamten dann Munition, die Klaus S. illegal besaß. Alles schien zusammenzupassen, bis Anfang Oktober plötzlich, der Prozess lief noch, der Mann freigelassen wurde.

Mehrere Gutachten hatten Zweifel am dringenden Tatverdacht geweckt, ohne den in Deutschland niemand in Untersuchungshaft sitzen darf. Ein Anthropologe hatte beispielsweise Gang, Breite und Höhe des Gesichts und der Ohrläppchen von Klaus S. mit der vermummten Person auf dem Überwachungsvideo einer Ulmer Postfiliale verglichen, in der die Paketbomben abgegeben wurden. "Beide sind höchstwahrscheinlich nicht identisch", sagte er.

Das Gericht übernahm die Einschätzung, überzeugend sei vor allem der Abgleich der Farbe des Haaransatzes und der Form der Ohrläppchen gewesen. Die Staatsanwaltschaft zeigte sich von den entlastenden Beweisen unbeeindruckt und forderte viereinhalb Jahre Haft. Sie warf dem Rentner bis zuletzt das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, gefährliche Körperverletzung und versuchte schwere Körperverletzung vor. Die Anklage ging davon aus, dass der gelernte Elektriker die Sprengvorrichtungen selbst gebaut habe, um Geld von den Lebensmittelfirmen zu erzwingen.

1800 Euro Geldstrafe wegen unerlaubten Besitzes von 13 Zentralfeuerkartuschen

Nun muss der freigesprochene Klaus S. nur eine Geldstrafe in Höhe von 1800 Euro zahlen, wegen unerlaubten Besitzes von 13 Zentralfeuerkartuschen. Diese haben mit den Paketbomben nichts zu tun - die Bomben wurden aus abgeschabten Streichholzköpfen hergestellt. Die Munition hatte der Rentner nach eigenen Angaben in seinem Haus als Erinnerung an seine Militärzeit aufbewahrt. Der Richter betonte, dass Klaus S. unter der monatelangen U-Haft gelitten habe. Nun müsse er zudem womöglich mit dem Stigma leben, dennoch weiterhin für den Paketbomber gehalten zu werden.

Gelitten haben unter der perfiden Tat auch die zufälligen Opfer, die in den Poststellen der Adressaten arbeiteten. In der Lidl-Zentrale in Neckarsulm wurden drei Mitarbeiter verletzt, ein Mann am linken Auge, an beiden Händen und an den Oberschenkeln. Bei den Wild-Werken in Eppelheim bei Heidelberg, wo unter anderem das Getränk Capri-Sun hergestellt wird, hatte das Paket nicht seine volle Explosionskraft entfaltet. Dennoch leidet ein 44-Jähriger bis heute. Äußerlich kam der Mann mit leichten Verletzungen an den Händen und an der Stirn davon, doch seit dem Vorfall könne er nicht mehr allein sein, sagte er vor Gericht. Das dritte Paket an den Babynahrungshersteller Hipp konnte abgefangen werden.

Für die Opfer bleibt nun die Frage: Wer war es dann? "Es gab Spuren in diesem Verfahren, denen man weiter nachgehen muss", glaubt Verteidiger Jörg Becker. Am Telefon sagt er, bis zur Tat habe ein Kunde alle zwei Tage die Postfiliale aufgesucht, in der die Bomben aufgegeben wurden. Nach Aussage der Filialleiterin sei der Mann danach nicht mehr dort gesehen worden. Außerdem seien auf den Bomben DNA-Spuren gefunden worden. Wenn der Täter irgendwann strafrechtlich in Erscheinung trete, könne man ihn finden. "Ich hoffe, dass die Polizei weitersucht", sagt Becker.

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