Süddeutsche Zeitung

Geburtenrate:Gebildete Omas, mehr Enkel

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Von Ulrike Heidenreich

"Du bist wie deine Mutter!" In einem Streit ist dies der wohl verletzendste Spruch, den man einer Frau an den Kopf werfen kann. Es gibt sogar eine wissenschaftliche Bezeichnung für die Angst, so zu werden wie die eigene Mutter: Matrophobie. Die Ausprägungen der Mutter-Tochter-Beziehung sind vielfältig, eine überraschende Variante haben jetzt Wiener Wissenschaftler entdeckt: Demnach bekommt eine Frau mehr Kinder, wenn ihre Mutter - also die künftige Großmutter - eine hohe Bildung hat und beruflich qualifiziert ist.

Die Untersuchung des Vienna Institute of Demography widerspricht vielem, was aus anderen Zahlenwerken bekannt ist. Bisherige Studien, etwa vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, gehen davon aus, dass sich vor allem Frauen aus dem gehobenen Bildungsmilieu gegen Nachwuchs entscheiden. Oft, weil sie die Karriere vor den Kinderwunsch stellen. Deshalb bekommen sie seltener Kinder als Frauen mit schlechterer Ausbildung, so die Annahme. Die Geburtenziffer in Deutschland liegt momentan bei 1,47 Kindern pro Frau.

Mütter spielen unterschwellig eine große Rolle, wenn ihre Töchter später eine eigene Familie gründen - sogar die Zahl der Enkelkinder beeinflussen sie offenbar. Die Demografin Maria Rita Testa vom Vienna Institute, einer Forschungseinrichtung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, sagt: "Die Wahrscheinlichkeit, dass Mütter sich ein weiteres Kind wünschen, ist größer, wenn die Oma dieser Wunschkinder eine hohe Bildung hat." Anders gesagt: Die Chance steige, dass ihre Tochter mindestens zwei Kinder zur Welt bringt.

Hat die Mutter bereits Familie und Beruf gemeistert, macht das die Tochter zuversichtlich

Testa hat für diese Erkenntnis die Daten von gut 12 000 Frauen im Alter von 18 bis 49 Jahren ausgewertet. Bewusst aus vier Ländern mit sehr unterschiedlichen Geburtenraten, Rollenbildern und Wohlfahrtsstaatsmodellen: Österreich, Bulgarien, Norwegen und Italien. Abgefragt wurde der sozioökonomische Status der Frauen und ihrer Mütter.

Die Wissenschaftler rechneten die bereits in der Familie existierenden Kinder mit der Zahl der darüber hinaus gewünschten Kinder hoch - das Ergebnis lag in jedem Land bei Frauen mit gebildeten Müttern höher als bei Frauen mit ungebildeten Müttern. Auch der Abstand zur durchschnittlichen Geburtenrate ist groß: In Österreich waren es zwei Kinder statt 1,47, in Italien zwei anstatt 1,37, in Bulgarien 2,43 gegenüber 1,53 und in Norwegen 2,45 anstelle von 1,75.

Dass gut ausgebildete Großmütter Chancen auf mehr Enkel haben, erklären die Forscher so: Weil diese Frauen die Doppelbelastung Familie und Beruf bereits gemeistert haben, vertrauen ihre Töchter auf mehr Unterstützung, wenn sie selbst Kinder bekommen. Nach dem Motto: Im Notfall schafft Oma auch das ganz locker. Am Geld liege es ebenfalls, meint Testa: "Qualifizierte Frauen sind finanziell bessergestellt. Das gibt den Töchtern zusätzlich Sicherheit. Sie können zum Beispiel etwas leihen, wenn die Familie wächst und mehr Geld braucht."

Anders als die eigene Mutter sein zu wollen, betrachten Soziologen übrigens als normal für die gesunde Persönlichkeitsentwicklung. Und Spannungen gehörten zur stärksten Bindung des Menschen nun mal dazu. Schließlich beginnt sie schon im Mutterleib - und überträgt sich wohl auf die Bäuche der nächsten Generation.

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Quelle:
SZ vom 10.04.2017
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