Süddeutsche Zeitung

"Fusion"-Festival:Techno und Freiheit

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Von Peter Burghardt, Hamburg

Lärz. Fusion. Für Zehntausende Eingeweihte und mittlerweile noch mehr Sympathisanten sind es Zauberworte, magischer Klang einer realen Utopie. Entsprechend groß ist gerade die Resonanz in diesem Streit um Freiheit und Ordnung. Seit 1997 findet auf einem ehemaligen russischen Militärflugplatz im Süden der Mecklenburgischen Seenplatte ein ziemlich einzigartiges Kulturfestival statt, mit feinem Sinn für Geschichte und Humor auch kyrillisch überschrieben. Musik, Theater, Performance, Kino und Party an einem Relikt des Kalten Krieges. Mitten in der schönen, aber gewöhnlich etwas entleerten nordostdeutschen Provinz. Ohne Kommerz. Und: ohne Polizei. Noch.

70 000 Menschen aus ganz Deutschland und anderen Ländern waren zuletzt dabei. "Das größte Ferienlager der Republik", schreibt der Verein Kulturkosmos, der das Fusion Festival veranstaltet. "Vier Tage Ferienkommunismus ist das Motto der Fusion." Was alle vereine, das sei "die Freiheit, sein zu können, wie sie sein wollen: zwanglos und unkontrolliert." Weiter: "Im kollektiven Ausnahmezustand entfaltet sich an einem Ort ohne Zeit ein Karneval der Sinne, in dem sich für uns alle die Sehnsucht nach einer besseren Welt spiegelt." Vom 26. bis 30. Juni soll es wieder so weit sein, doch bei den Planungen gibt es ein Problem: die Polizei.

Wie viel Staatsmacht vertragen Freigeist und Kultur?

Seit Tagen wird darum gestritten, ob das inzwischen durchaus legendäre Fusion-Festival zum ersten Mal seit 22 Jahren von Polizisten bewacht werden soll. Bis jetzt hatte es in mehr als zwei Jahrzehnten ohne staatliche Aufpasser und allein mit privaten Helfern bestens funktioniert. Ja, findet der Polizeipräsident, die Präsenz der Beamten sei dringend nötig, anders gehe es nicht. Er verlangt eine Polizeiwache auf dem Terrain. Nein, findet Kulturkosmos, auf keinen Fall, mit Polizisten und Überwachung der Gäste gehe es gar nicht. Derzeit wird über eine Lösung verhandelt. Bis zuletzt stand sogar die Möglichkeit im Raum, dass das Fusion-Festival nicht mehr stattfinden könnte. Bislang waren die vier Tage Ferienkommunismus nur einmal ausgefallen, 2017, allerdings wegen einer kreativen Pause der Organisatoren.

Mittlerweile hat die Debatte eine solche Wucht erreicht, dass grundsätzliche Fragen aufploppen. Wie viel Staatsmacht vertragen Freigeist und Kultur? Braucht jede Großveranstaltung, braucht jedes Festival unbedingt Polizisten, oder kommen manchmal sogar viele Menschen auf einem Areal alleine zurecht? "Hier ist ein Punkt zu machen", sagt Susanne von Essen, die von Anfang an dabei ist. "Es geht am Ende um die politische Frage, ob es in dieser Gesellschaft weiterhin Freiräume geben kann, die nicht von der Polizei eingeschränkt und mit repressiven Maßnahmen begleitet werden", heißt es in einer Erklärung des Vereins Kulturkosmos. Mehr als 100 000 Unterzeichner haben die zugehörige Petition für künstlerische Selbstverwaltung und gegen den autoritären Trend bis in die Kultur hinein unterschrieben.

Natürlich sind da die üblichen Gegenargumente. Sicherheit. Terrorgefahr. Massenpanik. Man habe konkrete Hinweise darauf, dass "gefährliche Personen" auf das Festival wollten, so der Polizeipräsident Nils Hoffmann-Ritterbusch. Verlangt werden auch breitere Fluchtwege und besser beleuchtete Notausgänge, das lässt sich regeln. "Notre-Dame hat auch 500 Jahre nicht gebrannt und trotzdem ist es nun passiert", warnt der Landrat Heiko Kärger (CDU). Doch spricht man zum Beispiel mit einem Mann, der schon öfter bei dem Festival in Lärz war, dann sagt der gleich: "Es ist auffällig, dass es da keine Polizei gibt. Und dass du die tatsächlich nicht brauchst." Er habe dort keinerlei körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt, "gar nicht", auch wenn er vereinzelte Zwischenfälle bei so vielen Menschen natürlich nicht ausschließen könne.

"Und ja, es werden Drogen genommen"

Offiziell gibt es jedes Jahr kaum Ärger, Tausende Helfer sind bei Bedarf zur Stelle. Außerdem ist es ja nicht so, dass die Polizei nicht hinein dürfte, wenn sie muss. Doch der Stammgast findet es "extrem angenehm", dass die Sicherheitsleute des Festivals so unauffällig blieben, was sich mit sichtbaren Polizisten ändern würde. "Du brauchst da keine Cops." Klar werde auch bei der Fusion allerlei getrunken. "Und ja, es werden Drogen genommen", was der Polizeiführung und dem einen oder anderen Politikern vermutlich besonders missfällt. Die Drogendiskussion, heikles Thema, weites Feld. Doch dieser Beobachter kommt zu der Annahme, dass es bei Großbesäufnissen anderswo gewalttätiger zugehe als beispielsweise mit Joint oder Pille. Das Festival sei "das Friedlichste, was du dir vorstellen kannst." Es gefällt ihm auch, dass es ohne Werbung auskomme, "kein Coca-Cola, kein Becks, kein Fleisch."

Dafür diverses Essen, viel Techno, dazu Jazz und Punk und Rap und Theater und Filme und FKK-Badestrand und Familienecke und Workshops und Diskussionen und ja, tendenziell linke Meinungen. Natürlich ist dies auch ein Politikum, im rot-schwarz regierten Mecklenburg-Vorpommern stehen am Tag der Europawahl auch Kommunalwahlen an, und die AfD versucht vor allem das Niemandsland zu erobern. Da macht mancher Mandatsträger noch rasch auf Law and Order. Wobei CDU-Bürgermeister Henry Tesch aus Mirow bei Lärz entschlossen für die polizeilose Freidenkerbastion namens Fusion eintritt. Eintrittskarten kosten 145 Euro, man kann sich das Ticket auch mit Schichten zum Beispiel an der Bar verdienen. "Arbeitsamt", steht auf einem Wegweiser zwischen bunten Zelten und Bühnen und Schildern wie "Schuhkarton", "Datscha", "Erste Hilfe", "Luftschloss". "Vielleicht", meint der Fusion-Freund, "halten's manche Leute nicht aus, dass es auch unkontrolliert geht. Könnte ja ansteckend sein."

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SZ vom 10.05.2019
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