Süddeutsche Zeitung

Ergebnislose Suche nach Leiche in Kiel:Haftbefehle gegen Hells Angels aufgehoben

Lesezeit: 2 min

Rückschlag im Kampf gegen kriminelle Motorradclubs: Die Kieler Polizei hat die Suche nach einer Leiche ergebnislos eingestellt, die sie in einer Lagerhalle der Hells Angels vermutete. Mehrere Rocker kommen wieder auf freien Fuß.

Spezialisten der Kriminalpolizei haben in fast siebenwöchiger, akribischer Arbeit eine Lagerhalle in Altenholz bei Kiel Stück für Stück abgetragen. Komplett, samt Fundament. Doch am Dienstag mussten Landeskriminalamt und Kieler Staatsanwaltschaft eingestehen, dass keine Überreste eines seit mehr als zwei Jahren vermissten, vermutlich ermordeten Türken gefunden wurden.

Ein Aussteiger aus der Rockerszene hatte der Staatsanwaltschaft gesagt, dass die Leiche dort einbetoniert worden sei. Sein Wissen beruhte nach eigenen Angaben jedoch nur auf Hörensagen.

Das Ermittlungs-Fiasko von Altenholz versetzt dem Kampf gegen die Rockerkriminalität im Norden einen schweren Rückschlag. Die Kieler Staatsanwaltschaft konnte nicht umhin, beim örtlichen Amtsgericht zu beantragen, dass die Haftbefehle gegen die Beschuldigten Fall des vermissten Türken aufgehoben werden. Damit kommen mehrere Angehörige der Hells Angels erst einmal wieder auf freien Fuß.

Bitteres Eingeständnis der Behörden

Fünf Mitglieder der verbotenen Kieler Hells Angels waren bei einer Großrazzia gegen Rockerkriminalität am 24. Mai verhaftet worden, eine sechste Festnahme erfolgte am 5. Juni in Polen. Am Tag der Großrazzia begann die Spurensuche in der Lagerhalle.

"Zunächst musste die gesamte Halle ausgeräumt, der schwere Betonboden mit Spezial- und Großgerät abgetragen, später die Hallenaußenwände entfernt und sämtliches Erdreich teilweise bis zu zwei Metern Tiefe nach archäologischem Vorbild akribisch durchsucht werden", hieß es von Seiten der Ermittler. Auch kamen Leichenspürhunde zum Einsatz, die laut Polizei an verschiedenen Stellen angeschlagen hatten. An diesem Dienstag kam dann das für die Behörden bittere Eingeständnis, dass sich keine Leiche oder sterbliche Überreste "im fraglichen Bereich befinden".

Als Pleite betrachtet Oberstaatsanwältin Birgit Heß das Geschehen aber "auf keinen Fall". "Es ist eine bedeutsame Spur im Ermittlungsverfahren abgearbeitet und die zunächst bestandenen Verdachtsmomente sind ausgeräumt worden", sagte Heß. Es komme immer wieder vor, dass Zeugenaussagen sich nicht bestätigten oder Spuren nicht zielführend seien. "Die Staatsanwaltschaft setzt ihre Ermittlungen energisch fort, den Sachverhalt endlich aufzuklären."

Noch sei unklar, was wirklich passierte und der vermutete Tod des Türken nicht nachgewiesen. Der 2010 in Kiel spurlos verschwundenen Mann, zum damaligen Zeitpunkt 47 Jahre alt, soll wegen Drogengeschäften mit den Hells Angels aneinandergeraten sein. Der Hauptbelastungszeuge der Staatsanwaltschaft hatte ausgesagt, das mutmaßliche Opfer sei in einem früheren Trafo-Häuschen von Hells Angels in Kiel gefoltert und erschossen worden. Die Leiche sei dann im Fundament der Lagerhalle in Altenholz versteckt worden.

Den Mord habe der einflussreiche Chef der Hells Angels in Hannover, Frank Hanebuth, in Auftrag gegeben. Hanebuth hat dies energisch bestritten.

Aktionsplan gegen Rockerkriminalität

Die Sonderkommission "Rocker" des schleswig-holsteinischen Landeskriminalamtes hatte den Zeugen als glaubwürdig eingeschätzt. Viele Angaben hätten sich als richtig erwiesen, sagte ein führender Soko-Beamter kürzlich im Prozess gegen den Aussteiger und Informanten. Der bekam wegen seiner Aussagebereitschaft ein mildes Urteil in seinem eigenen Verfahren unter anderem wegen schwerer Körperverletzung und Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Statt möglicher zehn Jahre erhielt der Ex-Rocker eine Haftstrafe von vier Jahren und vier Monaten. Die Behörden schützen den Mann, der wegen möglicher Racheakte als sehr gefährdet gilt.

Die Polizei hat in jüngerer Vergangenheit bundesweit Aktionen gegen Rockerkriminalität durchgeführt. Die Behörden bescheinigen den Hells Angels und ihren Kontrahenten, den Bandidos, mafiöse Strukturen. Waffen- und Menschenhandel, Drogendelikte, Zuhälterei, Erpressung und schwere Körperverletzung gelten als typische Straftaten.

Bei der Großrazzia am 24. Mai durchsuchten etwa 1200 Polizisten insgesamt 89 Bordelle, Gaststätten und Wohnungen vor allem in Schleswig-Holstein, aber auch in Hamburg und Niedersachsen. Insgesamt leitete die Staatsanwaltschaft Kiel fast 200 Ermittlungsverfahren ein oder führt aktuell solche Verfahren. Auch in Berlin und Brandenburg gab es kürzlich große Polizeieinsätze gegen Rocker.

Mit angekündigten Selbstauflösungen haben inzwischen einige Hells-Angels-Vereine, so etwa auch in Hannover, reagiert. Neugründungen der Vereine schließen Experten nicht aus.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version lautete die Überschrift "Polizei hebt Haftbefehl gegen Hells Angels auf". Das ist nicht korrekt. Nur die Staatsanwaltschaft kann einen Haftbefehl aufheben. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.

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