Süddeutsche Zeitung

Entweihte katholische Kirchen:Lebt Gott nicht mehr hier?

Lesezeit: 3 min

Von Oliver Meiler, Rom

Wenn alles auf ewig angelegt ist, dann kann die Vergänglichkeit der Dinge schon sehr verwirrend sein. Eine große Herausforderung unserer Zeit wird es ein Kardinal gleich nennen. Und so ist die Aula Magna der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom für diese internationale Konferenz über die angemessene Nutzung entweihter katholischer Kirchen bis auf den letzten Platz besetzt. Aus 36 Ländern sind Delegationen angereist. Eine betagte Ordensschwester sitzt wie eine junge Studentin auf einer Stufe der Seitentreppe, weil sie keinen freien Stuhl fand, Notizblock auf den Knien, sie schreibt jedes Wort der Prälaten und Theologen mit, der Soziologen und Juristen. Dass sie das noch erleben muss!

"Dio non abita qui?", heißt die Veranstaltung, die sich zum ersten Mal umfassend mit dem Thema beschäftigt. "Gott lebt nicht mehr hier?" Das Fragezeichen liest sich wie ein philosophischer Einwurf und gleichzeitig wie ein Ausrufezeichen gegen die unangemessene Umnutzung der Häuser Gottes. Die schnelle Säkularisierung der westlichen Gesellschaften stellt die katholische Kirche vor die dringende Frage, was aus ihren vielen Häusern werden soll und darf, die nicht mehr gebraucht werden, weil es an Gläubigen oder an Priestern mangelt. Die Konferenz bespricht und formuliert "Guidelines", Regeln also, einen Leitfaden.

Wie viele Kirchen bereits aufgegeben wurden, weiß niemand genau. Es gibt nur Schätzungen. In Deutschland etwa sollen in den vergangenen zwei Jahrzehnten ungefähr 500 katholische Kirchen entweiht worden sein. In den Niederlanden gehen sie davon aus, dass sehr bald nur noch ein Drittel der Kirchen übrig bleibt. In Italien, wo es mehr als 100 000 davon gibt, sind in den vergangenen Jahren über tausend verkauft oder vermietet worden.

Manche Häuser verfallen still. Andere sind so gut gelegen, nicht selten an bester Lage in den Zentren der Städte und mit tollen Raumvolumen, dass sie die Begehrlichkeiten von Investoren jeder Sorte wecken. Natürlich sind auch solche von der "absolut unangemessenen" Sorte dabei, wie sie das in der Aula Magna beschreiben - profane im ganzen Wortsinn: Krämer im Tempel. Aus der aufgegebenen Kirche Santa Sabina in Genua zum Beispiel wurde eine Bank, Neonlicht zerreißt das Ambiente, im linken und rechten Schiff sind nun die Schalter eingerichtet. Noch hängen schwere Gemälde an den Mauern, das Backoffice befindet sich in der Sakristei.

Besonders beliebt: Kirchen als Restaurants

Ganz beliebt ist auch die Nutzung von Kirchen als Restaurants, Pizzerien, Nightclubs, Lounges, Discotheken, Fitnessklubs, Kleiderboutiquen, Parkhäuser. Meistens behalten die neuen Eigentümer auch die Dekoration da, wo sie war, als noch Messen gefeiert wurden, den Altar etwa, die Ikonen für die Andacht. In Arnheim gibt es eine Skaterhalle im suggestiven Rahmen, mit Rampen für grandiose Luftsprünge und Kunststücke. Auch das Frankenstein Pub in Edinburgh ist in einer früheren Kirche untergebracht.

Begonnen hat diese Mode der irgendwie sündhaft lustvollen Zweckentfremdung aber einst in Amerika, wo denn sonst? In den Achtzigern eröffnete an der Sixth Avenue in New York The Limelight, ein Technoschuppen, in einem entweihten Gotteshaus. Damals hielt man das selbst in kirchenferneren Kreisen für unerhört, wenigstens aber für gewagt. Dabei waren die Betreiber des Limelight ihrer Zeit nur voraus, sie wurden später oft kopiert. Jedes Mal gibt es einen Skandal mit viel Aufmerksamkeit in den Medien, was den neuen Hausherren durchaus gelegen kommt.

Der katholischen Kirche ist das natürlich zuwider. Auf der Konferenz wird viel über Raum und Zeit sinniert. Kirchen seien Orte der Erinnerung für ganze Glaubensgemeinschaften und Generationen. Wenn die Häuser auch nicht mehr sakral sind: Ihre Heiligkeit lebe fort, dieser Geist, die Freuden und die Leiden. Passend sind deshalb nur Initiativen, die den Geist nicht schänden: Museen, Bibliotheken, Konzerthallen für klassische Musik, Treffpunkte, Armenküchen, sowieso: alles Karitative. Ganz okay ist es auch, wenn andere christliche Gemeinschaften die Immobilien nutzen, evangelische etwa. Nicht so gern sieht man es dagegen im Vatikan, wenn aus den Kirchen Moscheen werden. Unlängst wurde ein solcher Plan in Bergamo unterbunden, nachdem die Gemeinde als Besitzerin das Haus schon verkauft hatte.

Doch so einfach wird es nicht sein, das Schicksal der Kirchen zu beeinflussen, rechtlich zumal. Ist eine Liegenschaft erst einmal verkauft, liegt die Bestimmung ganz beim Besitzer, außer man versieht sie mit Auflagen. "Das ist Zivilrecht", sagt Pawel Malecha, der Redner von der Apostolischen Signatur, dem höchsten Gericht des Vatikans. "Wir müssen uns deshalb um gute Beziehungen zu den zivilen Behörden bemühen." Man steht erst am Anfang. Der Prozess der Verweltlichung aber, der rast schon eine ganze Weile.

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Quelle:
SZ vom 01.12.2018
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