Süddeutsche Zeitung

Ernährungspsychologe zu Dioxin-Skandal:"Uns müsste richtig übel werden"

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BSE, Gammelfleisch, dioxinverseuchte Eier - und nach wenigen Wochen ist alles vergessen. Der Psychologe Joachim Westenhöfer erklärt, warum wir nichts aus Lebensmittelskandalen lernen.

Lilith Volkert

Deutschland hat einen neuen Lebensmittelskandal: Ende 2010 wurde offenbar bis zu 3000 Tonnen mit Dioxin verseuchtes Tierfutterfett hergestellt und in das Futter für Legehennen, Mastgeflügel und Schweine gemischt. Mehr als 1000 landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland wurden vorerst gesperrt.

Joachim Westenhöfer, 52, ist Professor für Ernährungs- und Gesundheitspsychologie an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg.

sueddeutsche.de: Nach Lebensmittelskandalen verzichten viele Verbraucher eine Zeit lang auf bestimmte Produkte oder kaufen im Bioladen ein, doch relativ schnell kehren die meisten zum gewohnten Konsum zurück. Warum vergessen wir so schnell?

Westenhöfer: Was und wie wir essen, ist eine tief verankerte Gewohnheit. Auswahl und Zubereitung laufen auch zum großen Teil automatisch ab: Morgens wirft man die Kaffeemaschine an und kocht sich ein Frühstücksei, ohne sich jedes Mal bewusst dafür zu entscheiden. Diese Routine wird durch das Wissen um verdorbene Lebensmittel kurz unterbrochen, aber nicht aufgehoben.

sueddeutsche.de: Auch dann nicht, wenn einem von Gammelfleisch-Bildern richtig übel wird?

Westenhöfer: Es müsste einem schon richtig körperlich schlecht werden, das wäre ein nachhaltiger Lerneffekt. Für den Körper ist Übelkeit ein Warnsignal: Hättest du mehr davon gegessen, hätte es dich vermutlich umgebracht. Das ist einer der wenigen Sachen, die wir auch ohne viele Wiederholungen lernen - weil es lebenswichtig ist. Mit Informationen, die man in der Zeitung liest, funktioniert dieser Mechanismus aber nicht.

sueddeutsche.de: Würden wir uns vernünftiger ernähren, wenn wir mehr über unser Essen wüssten?

Westenhöfer: Nein, bei der Ernährung ist der Zusammenhang zwischen Wissen und Verhalten sehr gering. Wir haben Tests mit Kindern gemacht, die genau wussten, dass Schokolade und Cola dick machen und dass Gemüse und Salat gesund sind. An ihrer Vorliebe für Süßigkeiten hat das nichts geändert.

sueddeutsche.de: Und bei Erwachsenen?

Westenhöfer: Auch hier spielen bei der Essensauswahl viele andere Gesichtspunkte mit: Geschmack, finanzieller Aufwand, soziales Prestige, Erinnerungen. Ob gesund ist, was wir essen, spielt in dieser Abwägung in den meisten Fällen nur eine untergeordnete Rolle.

sueddeutsche.de: Warum reagieren wir überhaupt so heftig auf Schreckensmeldungen von verseuchten Eiern oder verdorbenem Fleisch?

Westenhöfer: Weil wir Risiken nicht mit objektiven Maßstäben wahrnehmen, sondern sie subjektiv verarbeiten. Ein Risiko, das neu auftaucht, wird in seiner Gefährlichkeit zunächst einmal überbewertet, schon länger bekannte Risiken werden dagegen als weniger gefährlich empfunden.

sueddeutsche.de: Zum Beispiel?

Westenhöfer: Jedes Jahr sterben in Deutschland mehr als 10.000 Menschen an der Grippe, daran haben wir uns gewöhnt. Aber bei ein oder zwei Schweinegrippe-Toten erschrecken viele und lassen sich impfen. Beim Essen ist das nicht anders: Nach wie vor ist die Wahrscheinlichkeit viel größer, auf dem Weg zum Metzger vom Auto überfahren zu werden, als dort ein vergiftetes Stück Fleisch zu erwischen.

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