Süddeutsche Zeitung

Deutschlandweite Razzia:Bundespolizei zerschlägt Zwangsprostitutions-Netzwerk

Lesezeit: 2 min

Von Susanne Höll, Frankfurt, und Kerstin Lottritz

Mit der bislang größten Razzia in der Geschichte der Bundespolizei haben die Ermittler ein mutmaßliches Netzwerk im Schleuser- und Rotlichtmilieu zerschlagen. Mehr als 1500 Beamte durchsuchten am Morgen zeitgleich 62 Bordelle, Büros und Wohnungen in zwölf Bundesländern, wie die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main mitteilte. Dabei vollstreckten die Beamten sieben Haftbefehle. Der Bundespolizei zufolge wurden mehr als 100 Menschen vorläufig festgenommen. Dabei handelt es sich nicht um Prostituierte, sondern um Beteiligte an dem Netzwerk. In zahlreichen Fällen bestehe zumindest der Verdacht des illegalen Aufenthalts.

Die Bande soll von Siegen aus Hunderte Frauen, darunter vor allem Transfrauen, aus Thailand in das bundesweite Bordell-Netzwerk geschickt haben. Sie wurden mit hohen Verdienstmöglichkeiten nach Deutschland gelockt.

Das Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt wird wegen des Verdachts des gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern, der gewerbs- und bandenmäßigen Zwangsprostitution, der Zuhälterei, des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt sowie der Steuerhinterziehung geführt. Es richtet sich gegen insgesamt 56 Beschuldigte im Alter zwischen 26 und 66 Jahren, davon 41 Frauen und 15 Männer. Der hohe Anteil der weiblichen Beschuldigten verwundert auch Oberstaatsanwalt Alexander Balde. "Ich kann nicht sagen, warum so viele Frauen in diesem traurigen Gewerbe tätig sind."

Zum Kern der Bande zählen die Ermittler 15 bis 20 Personen deutscher und thailändischer Nationalität. Bei den Hauptverdächtigen handelt es sich den Angaben Baldes zufolge um ein Paar aus dem nordrhein-westfälischen Siegen. Die Frau, selbst Thailänderin und 59 Jahre alt, der Mann ein 62 Jahre alter Deutscher, Betreiber dreier Bordelle in ihrer Heimat, warben in Thailand die Frauen an.

Über die Art ihrer Beschäftigung sollen sie, so der Oberstaatsanwalt, die Thailänderinnen aufgeklärt haben. Bei ihrer Ankunft in Deutschland seien ihnen fiktive Kosten von bis zu 36 000 Euro auferlegt worden, von den Reise- und Visa-Kosten bis hin zur Unterkunft. Diese Schulden hätten sie dann abarbeiten müssen. Die Einnahmen sollen von der Hauptbeschuldigten zunächst vollständig einbehalten worden sein. Nach einiger Zeit seien die Thailänderinnen aus Siegen in andere Bordelle in Deutschland vermittelt worden - meist in Wohnungsbordellen etwa in Gewerbegebieten oder im ländlichen Raum. Auch dort soll die Hauptbeschuldigte einen Großteil der Einnahmen der Prostituierten über die örtlichen Bordellbetreiber erhalten haben - in einer Art Schneeballsystem.

Vorenthaltung von Arbeitsentgelt nennen das Juristen. Auch hätten die Beschuldigten keine Sozialabgaben gezahlt und den Kassen in den Jahren 2012 bis 2017 etwa 1,6 Millionen Euro vorenthalten. "Man hat die Menschen getäuscht, nicht über den Charakter ihrer Arbeit, aber über die Umstände", sagt der Oberstaatsanwalt. "Es wäre wohl niemand nach Deutschland gekommen, wenn klar gewesen wäre, dass man damit Schulden macht."

Auf die Spur der Verdächtigen kam zunächst die Staatsanwaltschaft Hanau, die das Verfahren 2017 an die hessische Generalstaatsanwaltschaft abgab, nachdem sich Hinweise auf ein länderübergreifendes Netzwerk mit Anzeichen für organisierte Kriminalität gezeigt hätten.

Welche Dimension der ganze Fall hat, vermag Oberstaatsanwalt Badle noch nicht zu sagen, auch nicht, was mit den Prostituierten geschieht. Müssen Sie das Land sofort verlassen? Das komme auf den jeweiligen ausländerrechtlichen Status an, sagt der Ermittler. Unklar ist auch, welche Strafen den Beschuldigten drohen, wenn sie tatsächlich vor Gericht gestellt werden können. Theoretisch sei eine Haft von 15 Jahren möglich, sagt Oberstaatsanwalt Balde.

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