Süddeutsche Zeitung

Bundeskanzleramt:Der Störer ist immer der Gärtner

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Akkurat und leise soll er sein: Das Bundeskanzleramt sucht zur Pflege seiner Rasennutzfläche einen neuen Bundesgärtner. Sollte sich Olaf Scholz nicht lieber einen Mähroboter kaufen?

Von Martin Zips

In der Theorie ist so ein Garten ja eine wunderbare Sache: Alles kreucht und fleucht, wächst und blüht und so fühlt sich der Mensch ganz eins mit der Natur. Doch in Wirklichkeit ist es komplizierter: Es gibt Nutzgärten, Ziergärten, Volksgärten, Lustgärten - und selbst im Green Building rennen einem die Pflanzenpfleger noch durchs Zimmer, um irgendetwas zu zupfen oder zu gießen. Wie soll man sich da konzentrieren, wenn man, sagen wir, Regierungschef ist?

Selten wurde das Problem besser auf den Punkt gebracht als in einer aktuellen Stellenausschreibung des Bundeskanzleramtes. Dort werden Gärtner (m/w/d) gesucht, welche nicht nur die "zwingende" Einhaltung einer Halmlänge von maximal fünf Zentimetern auf dem "Zier- und Gebrauchsrasen" vor dem Gebäude zu garantieren haben. Auch sollen sie einen "Schallleistungspegel" von 98 Dezibel nicht überschreiten. Belästigung beginnt laut deutscher Rechtsprechung bei 55 Dezibel.

Nun ist die Frage nach der Lautstärke von Rasenmähern, Perlon-Rotierern und Freischneidern ja nur die eine Sache. Das Hauptproblem ist und bleibt der Mensch, der - vor allem unter freiem Himmel - zu recht unterschiedlichen akustischen Ausschlägen tendiert.

Doch man stelle sich mal vor, der aktuelle Kanzler würde - beeindruckt von den technischen Neuerungen, welche man ihm gerade auf der Hannover-Messe gezeigt hat, sowie aus einem verständlichen Ruhebedürfnis heraus - zur Pflege seiner 32 000 Rasen-Quadratmeter statt eines Gärtners einen leisen Mähroboter einsetzen. Theoretisch wäre das denkbar, denn anders als im ebenfalls vom Kanzleramt verwalteten Gästehaus Schloss Meseberg finden sich im Regierungsviertel deutlich weniger wild wuchernde Liguster- und Hainbuchenhecken, da ergäbe der Einsatz von KI schon Sinn.

Nur: Ein Roboter vor dem Bundeskanzleramt? Echt jetzt? Was hätte dazu Konrad Adenauer gesagt, der in seinem berühmten Rhöndorfer Refugium Rosen ebenso schätzte wie Kartoffeln? Was Helmut Kohl, der zwar angeblich nie zu Hause war, aber wenn, dann gerne vor Pressefotografen im Garten kickte? Was würde Charles III. dazu sagen, der Pullover hinter dem Schloss vergrub, um der internationalen Fachpresse Wochen später zu zeigen, dass Wolle deutlich besser verrottet als Polyester? Und was Michelle Obama, die Mutter aller Zucchini vor dem Weißen Haus?

Nein, da sind wir uns sicher, selbst einem unter allerlei Geräuschen leidenden Lyriker wie Wilhelm Buschs Balduin Bählamm ("Ein Vöglein zwitschert in den Zweigen; / Dem Dichter wird so schwül und eigen") wäre ein, wenn auch unangenehm lauter menschlicher Unkrautzupfer deutlich lieber als ein Roboter. Denn: " Gott schuf den Menschen als Gärtner." (Der Bundespräsident bei der Eröffnung der aktuellen Bundesgartenschau.)

Und so gilt es - im Sinne der Vernunft und der Regierungsverantwortung - bei der Pflege des Gebrauchsrasens vor dem Kanzleramt weiter auf den Faktor Mensch zu setzen. Selbst wenn dieser einem mit Rasenkantentrimmern, Wassersprengern und der wohl irrsinnigsten Erfindung aller Zeiten (Laubbläser) echt unfassbar auf die Nerven gehen kann.

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