Süddeutsche Zeitung

Borussia Dortmund:Metallstift in der Kopfstütze

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Sergej W. soll den Anschlag auf den Teambus von Borussia Dortmund verübt haben, als die Mannschaft auf dem Weg zu einer Champions-League-Partie war. Nun liegt die Anklage gegen ihn vor.

Von Hans Leyendecker, Georg Mascolo und Klaus Ott, Dortmund/München

Was am Abend des 11. April 2017 geschah, das wird Nuri Sahin nie vergessen, sein ganzes Leben lang nicht. Der Mittelfeldspieler von Borussia Dortmund sitzt damals mit seinen Kicker-Kollegen im Mannschaftsbus, auf der Fahrt ins Stadion zu einer Champions-League-Partie, als mehrere Sprengsätze explodieren. Mehrere Scheiben des Busses zersplittern, der Verteidiger Marc Bartra wird verletzt, er blutet. Sahin schaut in Bartras Augen. "Sie waren dunkel und ängstlich." In Interviews und einem im Internet veröffentlichten Text von ihm hat der Mittelfeld-Spieler wiederholt sehr eindringlich beschrieben, wie er den Anschlag damals erlebte. Und wie stolz er darauf sei, wie der Klub, die Fans und die Stadt zusammengehalten hätten. Das sei "wirklich wunderbar" gewesen.

Was damals geschah und was die Ermittler inzwischen herausgefunden haben, hat nun seinen Niederschlag gefunden in einer Anklage der Staatsanwaltschaft Dortmund. Die Ermittler wollen den 28-jährigen Sergej W. unter anderem wegen 28-fachen versuchten Mordes vor Gericht bringen. Der Deutschrusse soll den Sprengstoffanschlag im Frühjahr verübt haben. W. hatte zuvor mit Optionsscheinen auf einen Absturz der BVB-Aktie spekuliert. Er war wenige Tage nach dem Anschlag festgenommen worden.

Der mutmaßliche Täter soll auf einen Absturz der BVB-Aktie spekuliert haben

Spezialisten des Bundeskriminalamts (BKA) haben den Fall untersucht, die Ergebnisse der Ermittlungsgruppe "Pott" sind in fast siebzig Ordnern dokumentiert. Aus Sicht der BKA-Beamten steht fest, dass W. der Täter gewesen sei. Zunächst waren die Ermittler für den Generalbundesanwalt in Karlsruhe tätig gewesen, weil am Tatort in Dortmund drei Bekennerschreiben aufgetaucht waren. Darin wurde ein radikal-islamistisches Tatmotiv behauptet. Diese Spur hatte offenbar W. gelegt, um die Fahnder in die Irre zu führen. Das Vokabular war eine Mischung aus der linken, der rechten und der islamistischen Szene. Dadurch stand für die Behörden schon früh fest, dass der Täter aus keinem dieser Milieus stammte. Geprüft wurde auch, ob eine Wettmafia hinter dem Anschlag steckte. Auch das war nicht der Fall.

Das Motiv Geldgier kam schnell ins Spiel und dadurch war auch die für Terroranschläge zuständige Bundesanwaltschaft wieder heraus aus dem Verfahren. Der Fall ging Mitte Mai an die Staatsanwaltschaft Dortmund. Gut drei Monate später, Anfang dieser Woche, war die Anklage fertig. Das Landgericht Dortmund muss nun entscheiden, ob es zu einem Prozess kommt. Ein solcher ist wahrscheinlich, wohl aber nicht mehr in diesem Jahr. Sergej W. hat weder gestanden, noch den Tatvorwurf bestritten. Er schweigt. Sein früherer Anwalt hatte mal erklärt, dass sein Mandant die Tat bestreite.

Sergej W. saß zunächst in Stuttgart-Stammheim in Untersuchungshaft und wurde dann in ein Gefängnis in Nordrhein-Westfalen verlegt, wo er nun einem Prozess entgegensieht. Der Deutschrusse hatte sich zwei Tage vor dem Champions-League-Spiel der Borussen gegen den AS Monaco im Dortmunder Mannschaftshotel einquartiert. Der Elektroniker, der aus Rottenburg am Neckar stammte, war bei seinem Arbeitgeber krank gemeldet. Im Hotel, wo er früher schon mal übernachtet hatte, bestand er auf ein Zimmer mit Blick zur Straße. Von dort konnte man auch den Mannschaftsbus des BVB sehen. Als ihn nach der Tat ein Vertrauter fragte, warum er denn zum zweiten Mal in dieses Hotel gefahren sei, soll er erklärt haben, er habe sich in eine Hotelangestellte verguckt. Sergej W. gilt sonst als eher schweigsam.

Über seine Person wissen die Ermittler nicht viel. Er lebte mit den Eltern und einer Schwester bis 2003 im Ural. Dann zog die Familie in den Schwarzwald. Er besuchte die Hauptschule in Baiersbronn und galt als fleißig. In der Berufsschule war er Jahrgangsbester im Fach Elektrotechnik. Bei der Bundeswehr kümmerte er sich in einem Lazarettregiment um die Instandhaltung der Elektrotechnik. W. besuchte mal eine Freikirche, war aber nicht Mitglied. Er trainierte im Fitnessstudio, trank wenig Alkohol, machte manchmal Sportwetten. Ein zurückhaltender Typ, der VW-Lupo fuhr.

Dieser Mann, den man leicht übersehen konnte, soll dann den Anschlag verübt haben. Über das Wlan des Hotels loggte er sich nach Erkenntnissen der Ermittler wenige Stunden vor dem Spiel ins Internet ein und erwarb Verkaufsoptionen auf die Aktie des BVB. Bei seiner Hausbank hatte er sich vorher unter seinem Namen einen Kredit besorgt. Er wettete am Nachmittag des 11. April auf den sinkenden Kurs des Wertpapiers. Alle verdächtigen Transaktionen sind beim BKA lückenlos dokumentiert. Die Aktie stand am Nachmittag vor dem Anschlag bei 5,61 Euro. Sie hätte rasant stürzen müssen, damit der Zocker W. überhaupt Geld mit der Spekulation verdienen konnte. War W., wenn er denn der Täter ist, ein hochkrimineller Dilettant?

Es hätte auch Tote geben können, wäre ein Sprengsatz anders platziert gewesen

Er soll in einer Hecke in der Nähe des Hotels drei Sprengsätze platziert haben. Der vordere und der hintere in Bodennähe, der mittlere in einem Meter Höhe. Die Bomben waren mit sieben Zentimeter langen Metallstiften gefüllt. Es handelte sich nach Feststellung der Ermittler um einen zusammengemischten Sprengstoff auf der Basis von Wasserstoffperoxid. Spuren des Wasserstoffperoxids sollen auch an seinem Arbeitsplatz gefunden worden sein. W. soll, so die Anklage, von seinem Zimmer aus die Sprengkörper gezündet haben. Bei dem Anschlag wurde neben dem Spieler Bartra auch ein Polizist verletzt. Ein Metallstift bohrte sich in die Kopfstütze eines Sitzes, andere Stifte flogen bis zu 250 Meter weit über den Bus hinaus. Wäre der mittlere Sprengsatz niedriger platziert worden, dann hätte es Tote geben können.

Sahin hat das Geschehen am 11. April immer noch vor Augen. Es sei alles wie in "Zeitlupe" geschehen, sagt er.

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Quelle:
SZ vom 30.08.2017
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